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Kultur: Auf dem Weg zum eigenen Ton

Die vier Frauen von Cafésatz stellten im Café Kieselstein ihre Texte vor

Gleich zwei Unbekannte galt es zu entdecken am Dienstagabend: das Café Kieselstein im Werner-Alfred-Bad und die Gruppe Cafésatz. Zwar eint sie beide das Café im Namen und wahrscheinlich die Liebe zum schwarzbraunen Getränk. Aber ihre Funktionen unterschieden sich in Cafébetreiber und -besucher.

Die Schreibgruppe nämlich benötigt literweise die anregende Brühe, um bei ihren wöchentlichen Treffs Inspiration für kooperative Kritik zu bekommen. Es geht den vier Frauen nicht darum, sich gegenseitig Konkurrenz zu machen, betonen sie. Dass dies auch eine unnötige Sorge ist, bewies die Lesung der so unterschiedlichen Texte, bei denen jede mit einem eigenen Ton aufwarten konnte. Freilich: unterschiedlich sind sie in Qualität und Relevanz.

Die Vier hatten sich schutzsuchend auf die beigegelbe Couch des mit ökologischer Gemütlichkeit eingerichteten „Kieselstein“ geschmiegt. Der lange Caféraum war voll mit Menschen meist weiblichen Geschlechts. Michaela Heissenberger, als 1968 Geborene die jüngste der Schreiberinnen, las zuerst. Ihre inneren Monologe hat sie Menschen nachgeschrieben, die ein gewisser Oliver Kern auf der Berlinale fotografiert hatte. Die Fotos durfte das Potsdamer Publikum nicht sehen, verlor aber auch bald das Interesse daran, denn die Reflexionen eines Tresenstehers und einer Journalistin waren sowohl gedanklich nicht ganz scharf – was an dem Alkoholgenuss bei dem Festival liegen mag – als auch sprachlich konturenlos. Anja Manz, eine Hessin, die in Potsdam lebt, rief mit „Sternenhimmel am Käferdach“ eine Atmosphäre wach, die unwiderruflich verloren ist. Das war in den sechziger Jahren im Westen, als Oma auf dem Beifahrersitz neben dem pfeifenden Vater nervös die Handtaschenbügel umklammerte, die Mutter im Fond des Käfers mit den beiden Kindern kauerte und die Kleine – aus deren Perspektive erzählt wird – erst zufrieden war, nachdem sie ihren Magen geleert hatte. Da ist ein Ton zu entdecken, Bilder holen die damalige Zeit aus der Erinnerung, und der etwas naive Humor passte zur Ich-Figur. Ebenso unterhaltsam war ihre zweite „automobil“-Geschichte, in der ein Paar stumm über den rechten Weg zwischen Herzsprung und Wittenberge streitet.

Katarina Poller entführte das Publikum mit dem Auszug aus „Die Schaffner“ in eine fantastische Welt: Die Ich-Figur fährt mit einem seltsamen Zug, in dem die normale Zeit durch die individuelle Zeit ersetzt wird, wo man an Dörfern mit Kirchtürmen vorbeirattert, deren demokratische Uhr an jeder der zwölf Stunden einen Zeiger besitzen und wo es ein Gnomenpaar gibt, das im Krümelpolster der Zugbank wohnt und höchst interessiert das Chaos in der Handtasche des erstaunten Fahrgastes begutachtet. Eine wahre Fantasieleistung, der man gerne folgte.

Aber eigentlich war man gekommen, um eine Entdeckung zu machen: Ingrid Kaech, die 1963 als „Schweizerin in Wien“ geboren ist und vor ihrer Ankunft in Berlin zehn Jahre durch Süddeutschland tingelte. Sie verfügt nicht nur über einen sicheren Stil, eine perfekte Vorstellungskraft und die Fähigkeit, eine Figur lebendig werden zu lassen. Sie hat eine Stärke, die ihre gelesenen Texte mit einer Dimension adelte, die man künstlerisch nennen muss. Die Sehnsuchtskraft der Figuren ihrer „Los“-Texte ist alles andere als pathetisch, die Tiefe der Gefühle kommt barfüßig trippelnd daher, so dass man am Ende durch den Schwung, den diese rondoartigen Texte erzeugten, fast mit ihrer „haltlosen“ Figur abheben wollte in luftige Höhen oder mit der „orientierungslosen“ Ich-Figur, deren Liebe tot ist, unendlich tief fallen. Das hatte Größe und atemlosen Atem. Lore Bardens

Lore Bardens

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