Kultur: Auf dem weiten Feld der Weltpolitik
Peter Scholl-Latour sprach über „Gelebte Weltgeschichte“ im Hans Otto Theater
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Dieser Mann ist ein Buch. Über eine Stunde spricht Peter Scholl-Latour am Sonntag im Hans Otto Theater. Er spricht frei. Ein paar kleine Zettel mit Stichpunkten dienen ihm nur als Leitfaden, um nicht allzu oft abzuschweifen. Das Thema: Mit Weltpolitik ein weites Feld. Der Saal ist ausverkauft. An der Abendkasse mussten Besucher abgewiesen werden. Als Lesung war die Veranstaltung angekündigt. Scholl-Latour sollte sein aktuelles Buch „Zwischen den Fronten. Erlebte Weltgeschichte“ vorstellen. Doch wer über Politik schreibt, muss wie kaum ein anderer der Aktualität Tribut zollen. Aber wozu braucht einer wie Peter Scholl-Latour ein Buch, um daraus zu lesen? Sein Leben, seine Reisen, seine Erfahrungen sind Stoff genug, um davon stundenlang zu erzählen.
Peter Scholl-Latour ist auf dieser Welt zu Hause wie kaum ein anderer. Bis auf einige winzige „Eilande im Pazifik und in der Karibik“ hat der 83-Jährige „sämtliche Länder der Welt aufgesucht“, wie Scholl-Latour im Vorwort zu „Zwischen den Fronten“ schreibt. Was nicht ganz stimmt. In Osttimor war er noch nie. Aber auch diesen Inselstaat bei Indonesien will er noch abhandeln. Wer Peter Scholl-Latour am Sonntag im Hans Otto Theater erlebt hat, glaubt es ihm sofort. Von Ruhestand kann bei ihm noch lange nicht die Rede sein.
Seit 60 Jahren reist Peter Scholl-Latour dorthin, wo es brennt. Und von dort weiter dorthin, wo diese Konflikte ihren Ursprung haben, wohin internationale Verbindungen und Verwicklungen führen. Sein aktuelles Buch „Zwischen den Fronten“ kann als eine Art Rückschau dieser 60 Jahre gelesen werden. Doch von einer Biographie soll keine Rede sein, sagt Scholl-Latour am Sonntag.
Dann spricht er über Amerika und den weltweiten Feldzug gegen den Terrorismus. Er spricht über den Nahen Osten und den Islam, liefert historische Hintergründe, ordnet ein. Es geht nach Russland und von da nach China. Keine komplizierten, sich im Detail verlierende Analysen. Peter Scholl-Latour behält den Überblick auf dem weiten Feld der Weltpolitik. Wenige Sätze reichen ihm, um die Situation der Bundeswehr in Afghanistan zu umreißen. Im Norden sind die deutschen Soldaten stationiert, einem Bereich des Landes, in dem die Bevölkerung weniger talibanfreundlich ist. Das Engagement beschränke sich fast ausschließlich auf die Stützpunkte. „80 Prozent der Soldaten verlassen die Camps nie. Die anderen patrouillieren im Umkreis von maximal 20 Kilometern“, so Scholl-Latour. Wie unter solchen Umständen der Aufbau des zerstörten Landes erreicht werden soll, bleibt ihm ein Rätsel. So geht das Schlag auf Schlag. Eine kurze und präzise Analyse, der ein oft genauso klares wie vernichtendes Urteil folgt. Die Bundeswehr hätte nie nach Afghanistan geschickt werden dürfen. Für Amerika ist der Krieg im Irak längst verloren. Und vieles, was durch die Politik an Nachrichten oder Begründungen an die Öffentlichkeit gelangt, sei bewusste Fehlinformation.
Das Gespräch mit Diskussionsleiter Klaus Rost verlief dann arg harmlos. Anstatt ein Streitgespräch zu provozieren, reduzierte sich der Dialog auf eine Fortführung von Scholl-Latours weltumfassenden Monolog. Zwar fragte Rost, was passieren würde, wenn die deutschen Soldaten Afghanistan und die Amerikaner den Irak verlassen. Doch blieb Scholl-Latour konkrete Antworten schuldig. Hier hätte man sich mehr Hartnäckigkeit gewünscht. Auch auf die Gefahr hin, sich an dem weltpolitischen Schwergewicht Peter Scholl-Latour die Zähne auszubeißen. Was wahrlich keine Schande wäre. Dirk Becker
Dirk Becker
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