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Kultur: Auf den Registern des Grauens

Filmlivekonzert im Nikokaisaal: Murnaus „Nosferatu“ mit der Musik von Bernd Wilden

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Wenn der erste Filmdarsteller des berühmtesten Vampirs der Welt mit bürgerlichem Namen Max Schreck heißt, könnte vielleicht doch etwas daran sein, dass Namen Vorzeichen sind. Als Nosferatu hat der Schauspieler Max Schreck in Friedrich Wilhelm Murnaus gleichnamigem Stummfilm Filmgeschichte geschrieben: eine dürre, gekrümmte Gestalt, mit gebogenen Fingerkrallen, spitzen Fledermausohren, Reißzähnen und stechendem Blick, die bei ihrem Erscheinen auf der schwarz-weißen Leinwand bei manchen bis heute eine veritable Gänsehaut auslöst. Vor allem, wenn dazu so markant auf den Registern des Grauens gespielt wird, wie in der neuen Musik, die Bernd Wilden zum Film komponiert hat. Wie gut diese Musik zu Murnaus Klassiker passt, stellte das Filmorchester Babelsberg beim Filmlivekonzert im Nikolaisaal in Gegenwart des Komponisten unter Beweis.

Während der 1920 uraufgeführte Film „Das Kabinett des Dr. Caligari“ psychologische Untiefen ausleuchtet, zeigt der zwei Jahre später entstandene „Nosferatu“ das Böse als integralen Bestandteil der Natur und wirkt vielleicht darum ungleich beklemmender. Als einer der ersten Regisseure hatte Murnau die Filmstudios verlassen und draußen, in den Karpaten und an der Ostsee gedreht. Seine Aufnahmen von schroffen Bergen, sturmgepeitschten Wellen, Wetterleuchten am Wolkenhimmel, die zwischen die Handlung geschnitten sind, zeigen „Naturbilder, in denen ein kalter Luftzug aus dem Jenseits weht“ (Béla Balázs). Der Vampir Nosferatu erscheint bei Murnau – wie in einer mittelalterlichen Moritat – als Personifikation des Bösen. Wie die Pest bringt er den Tod. Mittelalterlich muten die Bürgerhäuser der fiktiven Hansestadt Wisborg an, der Brunnen und die Kirche. In diese traulich-behagliche Welt bricht unvermittelt der Schrecken in Gestalt des transsilvanischen Grafen Orlok ein, der tagsüber in einem Sarg mit Muttererde schläft und nachts zum blutsaugenden Vampir Nosferatu mutiert. Auf den rumänischen Namen war Murnau gekommen, um stoffliche Bezüge zu Bram Stokers „Dracula-Roman“ zu verwischen. Was allerdings nicht vor Plagiatsprozessen mit verheerenden Folgen schützte. Erst 1987 konnte „Nosferatu“ in mühseliger Kleinarbeit wieder rekonstruiert werden.

Bis heute fasziniert der Film nicht bloß mit Naturaufnahmen und der phänomenalen Gruselgestalt von Max Schreck. Vor allem die Kameraeinstellungen, Bildmontagen und die Ausleuchtung evozieren ein sublimes Grauen, das hinter der sichtbaren Oberfläche der Welt zu liegen scheint. Damit verwandelte sich der Film in ein erzählerisches Medium ersten Ranges. Passgerecht wurden alle filmischen Elemente in der 2004 uraufgeführten Musik von Bernd Wilden kongenial umgesetzt. Trotz des großen Instrumentariums, zu dem Xylophon, Klavier, Glocken, Pauken ebenso gehören wie Harfe, Streicher und düstere Blasinstrumente, bleibt die Musik wie selbstverständlich im Hintergrund, vertieft und verdeutlicht das filmische Geschehen, ohne sich aufzudrängen. Wie sie das schafft, ist ihr Geheimnis. Genauso auch, wie es ihr gelingt, für jede der schnell wechselnden, sehr kontrastreichen Szenen ein eigenes musikalisches Idiom zu finden und dabei in einem harmonisch-rhythmischen Fluss zu bleiben.

Entstanden ist eine eklektizistische Musik aus vielen Elementen von Spätromantik bis zur Moderne, die aber völlig geschlossen im Sinne der "perfekten Einheit von Film und Musik" (B. Wilden) wirkt. Das Filmorchester Babelsberg führte unter der souveränen Leitung von Helmut Imig eine eindrucksvoll schaurige, klangvolle „Symphonie des Grauens“ auf.

Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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