Kultur: Auf der Suche
Lesung mit Tanja Langer und David Majed
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Martin Mahboob Malik ist beglückt beim Anblick der hohen Felswände und der offenen weiten Landschaft Afghanistans. Auf der Fahrt mit dem Taxi durch Kabul jedoch erkennt er seine Geburtsstadt kaum wieder, ja fühlt er sich beinahe wie in einem Nachkriegsfilm. Zertrümmerte Häuser, bröcklige Fassaden, Haufen zusammengeworfener Bretter, wohin man auch blickt. Und doch ist da zugleich Leben, wimmelt es von Menschen in bunten Gewändern, hupenden Autos und Motorrollern, Eselskarren und Händlern, die frisches Obst anbieten. Als Tanja Langer und David Majed am Dienstag in der wie gewohnt sehr gut besuchten Kleistschule aus ihrem druckfrischen Roman „Der Himmel ist ein Taschenspieler“ (Langen Müller Verlag, 19,99 Euro) vorlesen, sind es oftmals diese Kontraste, die sich, auch dank der bildhaften, treffenden Sprache, fast von selbst einprägen. Dieser Roman, den die Berliner Autorin und der Entwicklungshelfer aus Kabul gemeinsam geschrieben haben, ist ein Buch der Hoffnung und der Trauer, der Schönheit und des Schreckens. Und nicht zuletzt auch ein Buch der Überraschungen.
Denn als Mahboob nach über 22Jahren seinen Vater wiedersieht, der ihn zurückgeholt hat in die Stadt, aus der er als Kind 1979 zusammen mit seiner Mutter fliehen musste, werden seine jüngsten Eindrücke immer mehr von Erinnerungen überlagert. Erinnerungen an ein modernes Afghanistan der Siebzigerjahre lange vor dem Einmarsch der Sowjets, als seine Mutter auf der Straße noch kurze Röcke und bunte Blusen und sein Vater elegante Anzüge trug. Mahboob erinnert sich an die klirrenden Armreifen seiner Tante Farida, das lange dunkle Haar seiner Schwester Aziza. Er will wissen, was aus ihnen geworden ist und beginnt bald beim Wiederaufbau seiner alten Schule zu helfen und seine eigene, neue Identität auszuloten.
Natürlich sei in den Roman auch Autobiografisches eingeflossen, sagt David Majed, der mit seiner Familie 1984 nach Deutschland fliehen musste, in Frankfurt am Main Jura studierte und derzeit als leitender Berater im Hochschulministerium in Kabul tätig ist. Einige Erfahrungen müsse man selbst gemacht haben, um sie erzählen zu können. Doch sei die Geschichte fiktional, sei vieles erfunden, so etwa ein Großteil der Figuren, fügt er hinzu. Kennengelernt haben sich Tanja Langer und David Majed 2010 über das Internet. Sie sei auf eine Annonce gestoßen, worin ein junger Autor fachkundige Unterstützung für sein Romanprojekt gesucht habe, erzählt Tanja Langer. Über Tausende von Kilometern hinweg und einen Zeitraum von drei Jahren habe man sich die Entwürfe hin und her geschickt, jeden Freitag über Skype miteinander telefoniert, sich in der ganzen Zeit aber nur dreimal persönlich getroffen. Beinahe liegt es da auf der Hand, dass im Zuge dieser ungewöhnlichen und spannenden Zusammenarbeit eine doppelte, sich geradezu harmonisch ergänzende Erzählstimme entstanden ist, die die Hauptfigur gleichermaßen von innen und außen beleuchtet.
Tanja Langer und David Majed ist es nicht nur gelungen, einen großen bewegenden Familienroman zu schreiben, der die jüngere leid- aber auch hoffnungsvolle Geschichte Afghanistans widerspiegelt, sondern all jene Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, die das Land nach Abzug der Taliban wieder aufbauen und in der medialen Berichterstattung oft ausgeblendet bleiben. Dass das Buch somit auch als Hommage verstanden werden soll, ist das persönliche Anliegen der beiden Autoren, welches an diesem Abend mit herzlichem Beifall erfüllt wird. Daniel Flügel
Daniel Flügel
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