Kultur: Auf der Suche nach Anarchie
Der Potsdamer Liedermacher Florian Helbig denkt viel über fehlende Räume und unfaire Bedingungen nach. Heute Abend spielt er im „Nowawes“
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Florian Helbig hat Visionen. Vielleicht ist er auch ein Träumer. Es sind jedenfalls Menschen wie Helbig, die geradezu prädestiniert dafür sind, Musiker zu werden, weil sie vor Mitteilungsbedürfnis glühen – und an eine andere, bessere Welt glauben. Helbig, 20 Jahre alt, halblanges Haar, sanfter Blick, sitzt an einem Februarabend in der Stadtteilkneipe „Nowawes“ in Babelsberg und trinkt– studentisch korrekt – Sternburg Export. Ein Mensch, den man stundenlang beim Sinnieren begleiten kann. Am heutigen Freitag stellt er im „Nowawes“ sein Debütalbum „Am Kanal“ vor.
„Der schönste Mann von Lichtenberg“ heißt sein Bandprojekt, mit dem er ein paar Musiker aus Berlin um sich schart, zurzeit ist Helbig aber wieder als musikalischer Single unterwegs, als Liedermacher. Ursprünglich stammt er aus Caputh, besuchte aber das Potsdamer Humboldt-Gymnasium und ist mittlerweile nach Babelsberg gezogen. Hier wurde er schnell zu einem Teil der Potsdamer Kulturszene, wenn man diese eingrenzen kann: Wenn er nicht an der Potsdamer Uni Volkswirtschaftslehre und Philosophie – eine interessante Mischung, wie er selbst sagt – studiert, ist er im „Laboratorium“ aktiv, dem Künstlerkollektiv, das seine Heimat im „Haus 1“ auf dem Freiland-Gelände gefunden hat, außerdem engagiert er sich gemeinsam mit dem Musikproduzenten Kai Mader beim Potsdamer Label „Lalonova“.
Babelsberg ist ihm eine neue Heimat. Zuerst, sagt er, habe er in der Heidesiedlung gelebt, als es noch Konzerte und Partys in deren Luftschutzbunkern gab. Mit dem Beginn der Sanierung musste er seine Wohnung verlassen. Seitdem sucht er immer wieder Freiräume, ja, der Begriff Freiräume ist selbst schon ein Sehnsuchtsort für ihn: „Wir brauchen Räume, um etwas machen zu können.“ Dass er im Freiland unterkam, bezeichnet er als Glück. Viele andere hätten das nicht. Selbst im Rechenzentrum sei die Miete ja nicht gerade erschwinglich, außerdem sei man als Musiker ja von vornherein ausgesperrt. Aber noch, findet er, geht es den Leuten zu gut, bisher bleibe die emotionale Dynamik aus: „Es brennt noch nicht.“ Dabei gebe es durchaus noch Potenzial zur kreativen Entfaltung, nicht nur im Freiland. Aber: Freiräume in der Stadt werden oft nicht wahrgenommen, weil sie viel zu schnell wieder verschwinden. „Wer weiß, was mit der FH passiert“, so Helbig. Manchmal wünscht er sich mehr Mut zu anarchistischen Gedanken. „Es ist zu einfach, zu behaupten, etwas funktioniere nicht, wenn man es nicht ausprobiert hat“, sagt er.
Er selbst hat seine ersten Songs im Alter von 11 Jahren geschrieben, noch ganz klassisch Strophe-Refrain-Strophe, mittlerweile mag er es wesentlich komplexer – was man auch in den sphärischen Stücken hören kann, die manchmal wie bedrohliche Gedichte erscheinen, manchmal an die Dada-Kompositionen der Neuen Deutschen Welle erinnern. „Ich bin ein Komponist“, sagt Helbig – Liedermacher, das scheint ihm nicht das geeignetste Attribut zu sein. Angefangen habe er mit Gitarre, mittlerweile experimentiere er viel mehr: „Dieses Fressen und Auskotzen von Hochkultur hatte ich satt“, sagt er, wenn man ihn nach seiner Abkehr von der klassischen Gitarre fragt. Am Freitagabend wird er dann aber trotzdem die Gitarre dabeihaben – und ganz gewiss auch über eine bessere Welt sinnieren. Oliver Dietrich
Konzert von Florian Helbig am heutigen Freitag ab 19.30 Uhr im „Nowawes“, Großbeerenstraße 5 in Babelsberg. Der Eintritt ist frei.
Oliver Dietrich
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