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Kultur: Auf der Suche nach dem sorglosen Punkt

Was macht wohl der mündige Bürger, wenn er ausgerechnet zum Wahltag folgende Zeilen zu einer geplanten Wortkunst-Aktion nahe der Buhlmannschen Familie Grün an der Brandenburger Straße liest? „Tausend Papiere, tausend Forderungen, tausend Mahnungen: Negative oder werbende, belästigende Post bestimmt unseren Alltag, macht uns Sorgen und bürdet uns Ängste auf.

Stand:

Was macht wohl der mündige Bürger, wenn er ausgerechnet zum Wahltag folgende Zeilen zu einer geplanten Wortkunst-Aktion nahe der Buhlmannschen Familie Grün an der Brandenburger Straße liest? „Tausend Papiere, tausend Forderungen, tausend Mahnungen: Negative oder werbende, belästigende Post bestimmt unseren Alltag, macht uns Sorgen und bürdet uns Ängste auf. Finden wir einen Punkt, an dem das Leben noch sorgenfrei ist. Ohne das Papier, das uns beherrscht.“

Der mündige Bürger ward also vor der „Wortkunst Galerie“ in der Lindenstraße 15 ausdrücklich gebeten, derart belastende Sorgenmacher in jenen bereitstehenden Pappkarton zu werfen, der mit seiner Aufschrift „Die Suche nach dem sorglosen Punkt“ viel zu unauffällig auf dem Bürgersteig vor der Laden-Galerie von Kathrin Ollrogge und „Verbalart-Künstlerin“ Patricia Vester stand. Rechnungsmüll, Behördenmüll, Belästigungs- und beziehungsgebundener Müll. Das Ding mit dem sorglosen Punkt nahe Sanssouci, dem Schloss „Ohne Sorgen“, wirkte da wie ein Wink des Himmels. Über das geplante Ende dieser Aktion teilte Patricia Vesters Potsdam-Aufruf dann Folgendes mit: „Ob die Papierberge am Abend, zum Abschluss der Aktion, rituell angezündet oder zu einer Art Fußball geformt werden, der durch die Straßen Potsdams geschossen wird, ist offen. Wir lassen los.“

Genau das war der Punkt! Denn die besorgten, mündigen Bürger vermuteten hinter der völlig privaten Aktion gleich eine Verbrennung. Stante pede gab es „Anwohnerbeschwerden“, man verständigte das Ordungsamt, mithin den Staat. So vorauseilend kann Zivilcourage, so unberechenbar kann Kunst sein. Die Folge: Die Wortkünstlerin mit starker Affinität zum Metall, zum Blech, beschränkte sich nun auf das Vorfeld des gemeinsam mit Kathrin Ollrogge betriebenen Ladens, den ostentativ märkische Erde statt eines Estrich-Bodens trägt. Von diesem sicheren Hafen aus sprach sie Leute an, interviewte sie zum sorglosen Punkt im eigenen Leben, was die unterschiedlichsten Reaktionen hervorrief.

Die einen ließen durchblicken, „nicht von hier“ zu sein, andere orteten den sorglosen Punkt mit „erst geradeaus, dann links“. Wer weiß, ob das nicht ein versteckter Wahlhinweis war. Patricia Vester glaubte die Potsdamer jedenfalls auf der Suche nach einem punktförmigen Utopia, und freute sich. „Vielleicht kann ich etwas anstoßen.“ Vom „Sorglosen Punkt“ in grafischer Gestalt wurden alle Exemplare bereits an Suchende verkauft. „Für mich ist das ein freier Anfang“, sagte Patricia Vester, eine Fortsetzung möglich.

Was nun den Abschluss der Aktion „Die Suche nach dem sorglosen Punkt“ betraf , konnten die besorgten Anwohner dieses Mal sorglos ruhen. Am Nachmittag lagen erst zwei Sorgenzettel im Pappkarton, zu wenig für eine Fußball- oder Feueraktion. Vor dem Laden warb das Schild „Täglich frische Fliesen“ für die Wortkunst-Aktion. Von „Jetzt ich“ bis zu „Liebeskummer schmeckt nach nix“ war für jeden etwas dabei. Innen eine Königskuchenform mit der Bodengravur „Jeden Sonntag ohne Grund Kalter Hund“. Das Wort der Woche sozusagen. Stereotypen, in denen sich die Leute gerne wiederfinden. Wortkunst und Wortspielereien, in denen sich fast jeder wiederfinden konnte: Als Lisa, Günther, oder Uwe - der „unerwünscht unordentliche Unhold“. Gerold Paul

Die Interviews der Wortkunst-Aktion sind im Internet unter www.verbalart.de

Gerold Paul

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