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Kultur: Auf der Suche nach der verlorenen Frau

Terézia Mora hat den Deutschen Buchpreis gewonnen – und in der Reithalle aus „Das Ungeheuer“ gelesen

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Mit Darius Kopp ist Terézia Mora gerne unterwegs. So nennt sie das, wenn sie von ihrem Helden spricht, den ihre Leser schon aus ihrem letzten Roman „Der einzige Mann auf dem Kontinent“ kennen. Am Dienstagabend hat sie in der Reithalle aus ihrem neuen, soeben mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten Buch „Das Ungeheuer“ gelesen – und ein bisschen erzählt. Etwa, dass sie vor fast acht Jahren nicht wusste, ob sie mit ihrer Figur Darius klarkommt, diesem 108 Kilogramm schweren Ingenieur im schicken Anzug. Denn eigentlich ist Kopp ein eigenschaftsloser Typ. Einige seiner schönsten Gedanken hat er von seiner Frau Flora.

Die ist fast ebenso wichtig, deshalb gab Mora ihr eine eigene Stimme, eine Art zweite Hauptrolle. Das Dumme ist nur: Flora ist tot, hat sich erhängt. So gut Mora auch klarkommt mit Darius, so schlecht behandelt sie ihn. Sie nimmt ihm erst die eine Daseinsberechtigung, seinen Job, und dann die andere, seine Frau. Und guckt dann, was aus ihm wird.

Erst einmal macht sich Darius auf den Weg in die Heimat seiner Frau, ein Dorf in Ungarn. Ihre Asche hat er im Gepäck, und ihr Tagebuch. Das ist Floras Stimme, durch diese Dateien auf ihrem Computer spricht sie wie aus der Unterwelt zu ihm. Mora hat für diese Idee eine einfache, aber überraschende Form gefunden. Auf der oberen Hälfte jeder Seite erzählt sie von Darius, der dabei ist, „vor Sehnsucht zu krepieren“. Darunter, abgetrennt durch einen Strich, lesen sich Floras geheime Aufzeichnungen.

„Neun Jahre lang war sie immer da gewesen“, stellt Darius fest und muss dann doch erkennen, dass die Frau, die er liebte, eigentlich eine ganz andere war. Was ihn trifft, ist nicht die Tatsache, dass Flora „mit Gott und der Welt geschlafen hat“, bevor sie ihn kennenlernte. Nein, tief gekränkt ist er, dass sie sich ihm nicht anvertraut hat, ihn nicht wissen lassen wollte, wie schwer ihre Depression wirklich war. Und davon, dass sie sterben wollte, obwohl er ihr doch zu Füßen lag.

„Das ist natürlich kindisch“, sagt Mora und es klingt fast ein wenig amüsiert. Ja, sie mag diesen Darius, aber wie eine gute Freundin kennt sie eben auch seine Schwächen. Er ist narzisstisch und natürlich etwas naiv, wenn er glaubt, seine Frau durch und durch zu kennen. „Wen kennt man denn schon wirklich?“, fragt Mora und schnaubt ein bisschen durch die Nase.

Ohne Mitgefühl ist sie aber nicht für Darius, im Gegenteil. Fast nüchtern lässt sie ihn beschreiben, wie er leidet, keine geschlossenen Türen mehr erträgt, seine Wohnung nicht mehr erträgt, fernsieht, bis es nicht mehr geht und dann schläft, bis es nicht mehr geht. Flora war sein Zuhause und ohne sie weiß er nicht mehr, wohin. Verwundert stellt er fest, was wohl alle feststellen, die trauern: „Tiefer als auf den Boden kannst du nicht fallen.“

Wie Moras Verhältnis zu Darius changiert auch ihre Stimme beim Vorlesen zwischen traurig und lakonisch. Alle Länder, durch die Darius auf seinem Roadtrip kommt, Georgien, Albanien, Armenien und Griechenland, hat sie für das Buch selbst bereist – obwohl sie eigentlich nicht gerne unterwegs ist. Klar, sagt sie, es gab noch keine Reise, von der sie dümmer zurückgekommen sei, aber im Grunde fände sie es strapaziös, das Unterwegssein. Anders als Darius Kopp: „Der ist ein Automensch, der kommt damit besser klar.“ Offenbar reißt er sie mit. Ariane Lemme

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