zum Hauptinhalt
Er mag es, zu spielen. Mickaël Phelippeau geht gern mit dem absichtslosen Ernst von Kindern an seine Tanz-Projekte heran, er probiert herum und gibt seinen Tänzern Raum, sich zu entfalten.

©  promo

Mickaël Phelippeau in der "fabrik": Auf der Suche nach Lola

Der Choreograf Mickaël Phelippeau arbeitet an der „fabrik“ an einem Stück für eine spanische Tänzerin

Stand:

Der Raum lässt sich nicht nur mit dem Körper fassen – sondern auch mit Kreide. Tänzer setzen sich für gewöhnlich durch ihre Bewegungen in Bezug zu dem, was sie umgibt. Doch Mickaël Phelippeau zeigt mit seinem neuen Stück „Llámame Lola“, dass auch Zeichnen ein tänzerischer Akt sein kann. Wie fast immer arbeitet der französische Choreograf dafür nicht mit einer Compagnie von Tänzern zusammen, sondern mit einer einzelnen Person, einem Menschen, den er durch das jeweilige Stück auch zugleich porträtiert – ganz egal, ob er selbst, wie bei den Arbeiten seiner „bi-portrait“-Serie, als Duett-Partner mit einsteigt oder ein Solo für sein Gegenüber kreiert. In diesem Fall ist das die spanische Tänzerin Lola Rubio.

Ein reines Solo für Lola wird es diesmal nicht, weil auch ihr vierjähriger Sohn auf der Bühne präsent sein wird – von ihm kam auch die Idee mit der Kreide. Und schließlich soll es in dem Stück auch um die vielschichtigen Identitäten Lolas gehen: Die der in Berlin lebenden Spanierin, die der alleinerziehenden Mutter, die der Rothaarigen mit einem Namen, der „die Leute entweder an eine Tänzerin – oder aber an eine Prostituierte denken lässt“, wie Phelippeau sagt. All diese Schichten lassen sich auch mit Kreide auf dem Bühnenboden aufzeichnen, verwischen, wieder auflösen. Manches Hingekritzelte bekommt im Nachhinein Sinn.

Mal wird die Kreide zum Schatten, aus dem Lola sich löst, mal umreißt sie ihren Körper damit wie eine Leiche am Tatort. Dabei entdeckt Phelippeau immer neue Probleme, etwa dass man beim Auf-den-Boden-Zeichnen immer nach unten guckt: „Ich finde für ein getanztes Porträt aber wichtig, dass das Gesicht des Tänzers sichtbar ist. Wie das funktioniert, probieren wir gerade aus.“

„Ein Teil meiner bi-portrait-Serie, bei der ich ja oft die Rollen mit meinem Gegenüber tausche, wird „Llámame Lola“ wohl nicht“, sagt Phelippeau, dieser schmächtige junge Mann, beim Mittagessen im Garten der „fabrik“. Es ist nicht das erste Mal, dass er hier arbeitet, zuletzt war er während der „Tanztage“ im Juni hier, mit seinem Solo-Stück für einen 14-Jährigen: „Pour Ethan“. Diesmal aber ist er nicht mit einer fertigen Arbeit angereist, sondern für drei Wochen Arbeit, an deren Ende die Potsdamer zwar einen ersten Einblick in „Llámame Lola“ bekommen können. „Abgeschlossen wird die Arbeit aber erst im kommenden Jahr sein“, sagt Phelippeau.

Die drei Wochen, die er und Lola diesen August hier verbringen, sind Teil des Residenz-Projekts „Étape Danse“, mit dem die „fabrik“ zusammen mit dem Institut Français in Berlin sowie dem französischen Institut CDC Uzès Danse und dem Theater in Nîmes eine Art Schaufenster für junge französische Choreografen in Deutschland schaffen will. Andersherum wird auch eine Deutsche Künstlerin – in diesem Jahr die in Berlin lebende Choreografin Kat Válastur – nach Frankreich kommen. Auch sie wird in den kommenden Wochen in Potsdam an ihrem Stück „Ah! Oh! A Contemporary Ritual“ arbeiten.

„Dieses Hin und Her zwischen verschiedenen Arbeitsorten, verschiedenen Instituionen, das entspricht auch den normalen Arbeitsbedingungen in der Tanzszene“, sagt Frauke Niemann, die die Residenzen für die „fabrik“ mit organisiert. Den Künstlern nutzt das aber oft schon allein für die Finanzierung ihrer Projekte: Wenn Etappen der Produktion – etwa durch ein Netzwerk solcher Residenzen – schon abgedeckt sind, ist es leichter, weitere Gelder einzuwerben. Noch viel wichtiger seien aber die Kontakte, die so geknüpft würden, sagt Niemann. Für Phelippeau waren die Tanztage einer seiner ersten Auftritte mit einem eigenen Stück in Deutschland. Über die Residenz soll er, so will es Frauke Niemann, mit weiteren Veranstaltern, mit Intendanten und anderen Tänzern in Kontakt kommen – passenderweise findet in Berlin bis Ende August das Festival „Tanz im August“ statt, das auch ein Fachpublikum ins offene Studio der „fabrik“ am 29. August spülen soll.

Neben solchen eher organisatorischen Fragen gewinnen auch die Stücke durch so ein Residenz-Konzept: Man dürfe nicht vergessen, sagt Frauke Niemann, dass ein Stück auch reife, wenn die Choreografen über verschiedene Etappen Zeit haben, daran zu arbeiten, zu reflektieren und dabei auch immer neue Eindrücke sammeln können. „Die Choreografen bringen dabei ja nichts fertig Konzipiertes mit, sondern haben eben Zeit, etwas zu entwickeln, sich mit ihren Tänzern auseinanderzusetzen.“ Das Residenz-Konzept entspricht auch dem gesamten System des zeitgenössischen Tanzes, das international viel stärker vernetzt ist als etwa die Theaterszene: Die Akteure sind hier nicht auf Verständigung durch Sprache angewiesen, die Ausbildung ist nicht national fokussiert. „Bis vor einigen Jahren gab es hier fast keine zeitgenössische Tanzausbildung, viele sind nach Belgien, Holland oder Übersee gegangen“, sagt Frauke Niemann.

Auch Phelippeau und Lola Rubio kennen sich schon seit zehn Jahren, zusammen gearbeitet haben sie vorher noch nie. Ein wenig wird es auch um ihre gemeinsame Verganegnheit gehen, um das, was – wie beim Zeichnen mit Kreide – zunächst wie lose aus der Bewegung hingeworfene Striche erscheint. Aus der Distanz aber ergibt sich oft ein anderes Bild.

Einen ersten Einblick in „Llámame Lola“ und in Kat Válasturs „Oh! Ah! A Contemporary Ritual“ können die Potsdamer bei einem offenen Studio am Freitag, dem 29. August um 11.30 Uhr, in der „fabrik“, Schiffbauergasse, gewinnen. Der Eintritt ist frei

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })