zum Hauptinhalt

Kultur: Auf einem schmalen Grat

Jessica Gall in der Druckerei Rüss

Stand:

Es hatte beinahe etwas Majestätisches, wie das weiße Piano vor dem raumhohen Fensterbogen und zwischen den weißen Steinwänden platziert war. Überhaupt nicht künstlich, sondern durchaus natürlich fügte sich das alles zu einem Ambiente zusammen, das eines solchen Abends würdig war. Dass in der Druckerei Rüss normalerweise einem ganz anderen Handwerk nachgegangen wird als dem musikalischen, tat dem keinen Abbruch. Jessica Gall, die am vergangenen Samstag im Rahmen der Jazztage die Gelegenheit bekam, in der historischen Druckerei ihr neues Album „Riviera“ vorzustellen, wandelte dabei jedoch musikalisch immer auf einem sehr schmalen Grat.

Mit einem Glitzern in den Augen betrat Jessica Gall, begleitet von ihren Bandkollegen, die Bühne. Es schien, als wolle sie erst gar keine klassische Konzertatmosphäre aufkommen lassen und stürzte sich ohne viel Aufhebens, aber mit viel Energie in der Stimme in ihren ersten Song. Bei den vielen Weingläsern in den Händen hatte man tatsächlich eher das Gefühl, in einer Jazzbar zu sein. Bereits mit den ersten Tönen hatte sie das Publikum auf ihrer Seite. Kraftvoll ging es los, gefühlvoll ging es weiter. Und das bei einer erstaunlich guten Akustik. Jessica Gall wanderte durch ihre Songs, begleitete das Publikum immer wieder durch die Höhen und Tiefen ihrer eigenen Gefühlswelt. Doch was ausblieb, war der Gänsehauteffekt.

Manchmal wirkte es so, als hätten die vier auf der Bühne ihr Publikum vollkommen vergessen, als würden sie nur für sich spielen. Doch dann gab es wieder Momente des intensiven Blickkontakts, den Jessica Gall zu ihrem Publikum aufbaute. Mit ruhigen, aber doch kräftigen Passagen konnte Jessica Gall im Verlaufe dieses Abends durchaus punkten. Und doch hilft auch eine wunderschöne Stimme nichts, wenn das Programm zu eintönig ist. Jessica Gall weiß, wann ihre Stimme am besten klingt, doch dem Publikum eine gefühlvolle Nummer nach der anderen um die Ohren zu schmettern, ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Und wenn dann doch einmal zackigere Klänge das Publikum mitrissen, den ein oder anderen wippenden Fuß konnte man bei genauem Hinsehen schon entdecken, wurde der Spaß an diesem Abend sofort im Keim erstickt. Auch lieferte sie die Erklärung der Hintergründe und Bedeutungen ihrer Lieder immer prompt vorneweg: Keine Chance also für das Publikum, aus diesem Konzert etwas Eigenes mitzunehmen, die ganz individuellen Assoziationen und Emotionen auszukosten.

Und doch wäre der knapp zweistündige Abend durchaus noch der vergnüglicheren Sorte zuzuordnen gewesen, wäre nicht die Zugabe gewesen, mit der Jessica Gall eher auf Unverständnis als auf Begeisterungsstürme stieß. Bei einer Coverversion eines Beatles-Songs begibt man sich immer auf dünnes Eis, doch mit „Imagine“ tat Jessica Gall weder sich noch dem Publikum einen besonders großen Gefallen. Und mit ihrer ganz eigenen Interpretation von „Hänschen klein“, die als Gute-Nacht-Musik den Abend ausklingen lassen sollte, hatte sie den nervlichen Bogen der Zuhörer eindeutig überspannt. So lieferte Jessica Gall an diesem Abend ein gutes Beispiel dafür, dass eine wunderschöne Stimme und gute Musik bei einem Konzert nicht alles sind. Musikalisch gelungen, programmlich daneben – der schmale Grat der Jessica Gall.

Chantal Willers

Chantal Willers

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })