Kultur: Auf fast verlorenem Posten
Ex-Pankow André Herzberg gastierte vor erstaunlich halbleerem Saal im Lindenpark
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Ex-Pankow André Herzberg gastierte vor erstaunlich halbleerem Saal im Lindenpark Lieber noch einmal nachfragen. Obwohl, die Ankündigung schien unmissverständlich: Freitagabend im Lindenpark. Doch ein Blick vorbei an dem Stehtisch mit der Geldkassette hinein in den Saal, in dem kaum ein Mensch zu entdecken war verunsicherte. „André Herzberg spielt heute Abend wirklich hier?“ Der junge Mann hinter der Kasse, Herrscher über viele unverkaufte Eintrittskarten, nickte. Ja, Herzberg sollte hier sein neues Album „Losgelöst“ vorstellen. Im Januar war er noch mit seiner ehemaligen Band Pankow im Rahmen einer begrenzten Reuniontour im Lindenpark gewesen und der Saal wohltuend voll. Und jetzt? Jetzt fanden nicht einmal 100 Leute vor die Bühne. Das ließ genug Raum für Spekulationen. Im fast totenstillen Barbereich erklärte eine redselige Dame, dass derartige Besucherzahlen auch Vorteile hätten. Sie könne, ohne Gedrängel und ohne anzustehen, sehr schnell ein neues Bier erhalten. Für den Musiker aber, und nun senkte sie ihre Stimme so als ob sie befürchten müsste, ihre Worte würden bis zur Bühne klingen. Für den Musiker aber, flüsterte sie, ließ den Rest unausgesprochen und wackelte, ihr Bedenken betonend, mit dem Kopf. Herzberg und Begleiter nahmen es wie es war. Mit „Losgelöst“ begannen sie, doch ganz gelöst schienen sie nicht. Seine musikalische Vergangenheit folgt Herzberg auf Schritt und Tritt. Und sich davon zu lösen, fällt besonders schwer, wenn so vielen einen daran messen. Als Pankow in Originalbesetzung hier im Januar spielten, da wurde unmissverständlich deutlich, was diese Band so besonders machte. 1981 gegründet, waren es von Anfang an Sänger André Herzberg und Gitarrist Jürgen Ehle, die hier den prägenden Stempel drückten. Herzbergs trotzköpfiger und oft nöliger Gesang, dazu Ehle mit seinem rotzigen Minimalismus, der mit ein paar Tönen, zwei drei Akkorden ihre Lieder zu etwas Unverkennbaren machte. Nicht musikalische Differenzen ließen die beiden Musiker ab 1989 getrennte Wege gehen. Der Schatten der Stasi, wie Herzberg feststellen musste, reichte bis in ihre Freundschaft. Doch ihren Liedern hat dies nie etwas anhaben können. Sie besitzen den besonderen Lack des Rock''n''Roll, an dem Zeit und Persönliches kaum kratzen können. Wann immer Herzberg Pankowklassiker spielte, und er tat es oft an diesem Abend, war die kleine Meute im Saal fast außer Rand und Band. Herzberg ohne Pankow, das geht einfach nicht. Und weil er das weiß, gibt er dem Affen den geliebten Zucker. Aber dafür verlangt er auch die Ohren für seine neuen Lieder. Mit manchen tat man sich schwer. Andere dagegen, wie „Sisyphos“, zeigten, dass Herzberg sich nicht von seinen Schatten dominieren lässt. Mit Jäcki Reznicek am Bass und Stefan Dohanetz am Schlagzeug hatte er zwei Mitstreiter aus alten Pankowtagen dabei. Raini Petereit an der Gitarre wird manchen noch von Rockhaus bekannt sein. Etwas befremdlich wirkte nur der Militärstil, den Herzbergs Mitmusiker in ihrer Kleidung pflegten und deren Grund sich einfach nicht erschließen wollte. Am Ende, nach zwei Zugaben, wirkte André Herzberg doch gelöst und dankbar gegenüber diesem überschaubaren Haufen, der genug Krach zu machen wusste. Nachzufragen hatte sich an diesem Abend wahrlich gelohnt. Dirk Becker
Dirk Becker
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