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Kultur: Auf Konservenbüchsen und Coladose

Percussion und Orgel bei den „intersonanzen“ in der Erlöserkirche

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Percussion und Orgel bei den „intersonanzen“ in der Erlöserkirche Von Sonja Lenz Hier ist der mächtige, behäbige Orgelklang. Da sind die spitzen, flirrenden Akzente der Perkussionsinstrumente. Das „intersonanzen“-Festival bringt beide Welten zusammen. Im fliegenden Wechsel präsentieren der Organist Andreas Jacob und das Percussemble Berlin musikalische Neuigkeiten in der Erlöserkirche. Am Ende prallt alles heftig und sinnlich aufeinander. Ein ungewöhnliches und reizvolles Projekt. „Corpus Ferrum“ heißt Bela Lees Schlagwerk-Trio. Jeder Spieler hält seinen eigenen Puls, sein Tempo, seinen Rhythmus, seine Klangfarbe – und doch verwebt sich das Ganze auf wundersame Weise zum komplexen, schillernden Geflecht. Der Komponist gehört zum vierköpfigen Percussemble. Die Musiker haben sich während des Studiums an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler" in Berlin kennengelernt. Inzwischen spielen sie freischaffend bei Festivals und Rundfunkproduktionen. Der bedeutende Schlagwerker Edgar Guggeis, der das Ensemble vor sechs Jahren gegründet hat, ist vor zwei Monaten gestorben. Die jungen Musiker machen auch ohne ihn weiter. Sie spielen einen Klassiker mit zwanzig Konservenbüchsen, einer Coladose als Rassel und einem Muschelhorn. „Third Construction“ stammt von John Cage, dem Altmeister der Zufallsmusik. In dem Stück von 1941 sind die Rhythmen allerdings peinlich genau vorgeschrieben. Freiräume bleiben den Musikern nur, wenn es um die Tonhöhen geht. Einer gegen drei. Aber der eine hat die machtvolle, große Trommel, und die anderen spielen auf kleineren, dünnhäutigeren Instrumenten. Wer wird vertrieben, wer verfällt in Verzweiflung? Helmut Zapf hat sein Schlagquartett „...wo jetzt hingehen...“ 2001 nach einem Gedicht von Wolfgang Hilbig geschrieben. Die Ratlosigkeit und den Galgenhumor der Obdachlosen, die den Winter kommen sehen, überträgt er in seine Klangwelt. Wenn man will, hört man den Frost klirren und die Zähne klappern. Drei gehen durch die Erlöserkirche, einer bleibt zurück. Wasser plätschert, Pfeifen mahnen, am Ende der herben Reise stehen alle um die große Trommel herum. Helmut Zapf ist nicht nur Komponist und Dirigent, sondern auch Kirchenmusiker. Für die Orgel hat er ein geistliches Werk geschrieben: „domine labia mea aperies“. Herr, tue meine Lippen auf, dass mein Mund deinen Ruhm verkündige. Eine Psalmton-Imitation aus dem Morgengebet bildet die Grundlage für den Lobgesang. Er klingt eher vollmundig als demütig, in vielen Farben und Stimmungen, mit Klanggebirgen und feinen Morsezeichen. Die Lippen sind schon weit geöffnet. Fast alle Kompositionen des Festivalabends stützen sich auf Texte oder bildhafte Vorstellungen. Der Nürnberger Komponist Gerald Eckert ist besonders vielseitig interessiert. Er hat nicht nur Komposition, sondern auch Mathematik, Cello und Dirigieren studiert. Seit 14 Jahren ist er auch mit seinen Bildern und Installationen erfolgreich. „Aufbrüche – Verwerfungen“ nennt er sein Orgelwerk, in dem er die Maltechniken von Peter Casagrande in Musik zu übertragen versucht. Er schichtet Klangfarben aufeinander, garniert dumpfe Klänge mit kleinen, flüchtigen Einsprengseln. Er lädt zum Meditieren über verborgene Nuancen in weit ausschwingenden Akkorden ein. Reizvolle Klangereignisse funkeln in Hell-Dunkel-Kontrasten und räumlichen Dimensionen. Kühl ist es in der Erlöserkirche, klein ist die Zuhörerrunde. Und trotzdem wird es zum Ende des Abends noch einmal richtig spannend. Annette Schlünz bringt die Orgel mit drei Perkussionisten ausgerechnet in einem Werk mit dem Titel „Verstummen“ zusammen. Die Dessauer Komponistin, die zwischen Madrid und Kopenhagen, Hanoi und Chicago gefragt ist, hat sich von einem Gedicht des Portugiesen Fernando Pessoa inspirieren lassen. Es geht um prasselnden Regen und einen leuchtenden Dom. Aufrüttelnd, fast schmerzhaft laut wütet das Beckengewitter. Irgendwo in der Ferne klingen zarte Orgeltöne. Glocken klirren, Regengeräusche vibrieren. Spirituell, sinnenfroh, kraftvoll. Als Highlights für einen außerordentlichen Abend.

Sonja Lenz

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