Kultur: Auf schwankenden Planken
„Literarischer Salon“ mit Julia Schoch eröffnet
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Die schwankenden Schiffsplanken des Theaterschiffes, Ort für die neue Reihe „Literarischer Salon“, könnte den unsicheren schwankenden Boden versinnbildlichen, auf den sich jede Schriftstellerin begibt, wenn sie einen neuen Text beginnt. Und wenn sie mit dem Text an die Öffentlichkeit tritt. Die Romane und Erzählungen der fünf Schriftstellerinnen, Julia Schoch, Ingrid Lausund, Ines Geipel, Natasche Wodin und Sibylle Lewitscharoff, die Elke Liebs für die ersten Veranstaltungen auswählte, sind eng mit der deutsch-deutschen und europäischen Geschichte verwoben. Und ergänzen sich auf wundersame Weise.
Die Potsdamer Schriftstellerin Julia Schoch eröffnete die Lesereihe am Mittwoch mit ihrem in diesem Jahr erschienenen Roman „Mit der Geschwindigkeit des Sommers“. Obwohl oder gerade weil sie ihr Buch bereits in Potsdam vorstellte, war das Theaterschiff bis auf den letzten Platz gefüllt.
Eine Ich-Erzählerin geht dem Selbstmord ihrer Schwester nach. Gegenstand der geschwisterlichen Gespräche war bis zuletzt oft der Liebhaber, genannt „der Soldat“, der wie alle Figuren und Orte in dem Roman namenlos bleibt. Das Leben der älteren Schwester teilten die Ereignisse von 1989 in zwei gleichmäßige Hälften. Ein Leben, das immer am gleichen Ort stattgefunden hat: Im äußersten Osten des Landes. Der Ort des Geschens ist eine künstliche Stadt aus Beton. Eine Garnisonstadt, die am Ende der 40er Jahre in eine kärgliche Landschaft gebaut wurde.
Während die jüngere Schwester diesem Ort rechtzeitig entflohen ist, hat die ältere Schwester sich in der Stadt einzurichten versucht. Damals und jetzt. Für die Rekruten, die in diesem Ort in Kasernen weggesperrt lebten, waren der Alkohol und die Mädchen die einzige Abwechselung. So kam der Soldat zur Schwester. Und er kam immer wieder. Auch als beide sich längst in der neuen Zeit in eigenen Familien eingerichtet hatten. Die Rahmenhandlung des Romans bildet der letzte Nachmittag vor ihrer Abreise nach New York, den die Schwester noch einmal mit ihrem Liebhaber verbringt.
Im Gespräch nach der Lesung wurde Julia Schoch nach der Veränderung des Textes und ihrer Haltung zum Text nach vielen öffentlichen Lesungen befragt. Nein, bisher bliebe dieser Text für sie unveränderlich, so ihre Antwort. Er war nach einer langen Denkphase innerhalb eines Vierteljahres in Rheinsberg entstanden. Jeden Satz habe sie lange abgewogen. Bis er seine endgültige Form erhalten habe. Nun wäre der Text für sie unangreifbar und endgültig wie ein Stein. Ob sie ihre Texte gleich in den Computer schriebe, wollte man wissen? „Nein, mit Bleistift auf Papier“, so Julia Schoch. Das Computerschreiben bedeutete für sie schon die erste wichtige Korrektur. Ob Liebhaber und Selbstmord nicht gefährliche Auswege und Botschaften wären? Sie schriebe ja keine Ratgeberbücher, sondern ihr Thema wäre in diesem Roman das Verschwinden: Von Orten, Systemen und Menschen. Und eine Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Geschichte. Flucht und Tod wären nur eine von vielen Möglichkeiten aus dem Dilemma eines falschen Lebens an einem falschen Ort in einer falschen Zeit. Möglicherweise. Barbara Wiesener
Die Autorin Ingrid Lausund ist zu Gast beim nächsten „Literarischen Salon“ am Mittwoch, 16. September, 19 Uhr, auf dem Theaterschiff in der Alten Fahrt. Der Eintritt kostet 5, ermäßigt 3,50 Euro
Barbara Wiesener
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