
© Andreas Klaer
Kultur: Auf sicherem, unsicherem Boden
Die Jahresausstellung „stabile – instabile“ des Kunstvereins Potsdam im KunstHaus
Stand:
Die Namensgeber sind hinter Glas gebannt. Fragile Papiergebilde, die, so scheint es, schon ein leichter Windhauch durcheinanderbringen könnte. Einmal kreisförmig angeordnet, Miniaturspiel zwischen frühzeitlicher Kultstätte und modernem Industriebauteil, dann dicht gefaltet, fast wie gequetscht, wieder wie ein Miniaturspiel, dieses Mal zwischen grob behauenem Faustkeil und riesenhaftem Raumschiff.
„Stabile – instabile“ hat Ina Abuschenko-Matwejewa ihre feinen Papierarbeiten auf Zeichenkarton genannt. Zurückhaltende Kunst, die sich auf das Wesentliche beschränkt und in ihrer reduzierten und zum Teil abstrakten Formsprache nicht Eindeutiges, sondern viele Möglichkeiten vorgibt.
„Stabile – instabile“ ist auch der Titel der Jahresausstellung der Mitglieder des Potsdamer Kunstvereins, die derzeit im KunstHaus zu sehen ist. Und auch wenn die Arbeiten von insgesamt 41 Künstlern gezeigt werden, ist hier kein überbordendes Sammelsurium ausgestellt. Die meisten Künstler haben sich nur für ein Werk entschieden, nur wenige für zwei oder maximal drei. So bleibt der Rundgang durch „stabile – instabile“ von Ruhe und der nötigen Konzentration geprägt.
Thema der Werkschau, das sich in dem Wortspiel um das Stabile und Instabile widerspiegelt, ist die Auseinandersetzung „mit dem vergangenen Jahr äußerster Instabilität“, wie es in einem Faltblatt heißt. Wie reagiert der Künstler auf „Natur- und Nuklearkatastrophen, tiefgreifende Umbrüche in einigen Ländern der arabischen Welt“, die das eigene Selbst- und Kunstverständnis durcheinanderbrachten? Mal fotografisch, häufig malerisch, gelegentlich plastisch und nicht immer aktuell. Denn bei mehreren Arbeiten zeigt die Jahreszahl der Fertigstellung nicht das Jahr 2011. Doch wer will so kleinkariert sein.
Anja Isabel Schnapka hat ihr Bild „Umarmung“ genannt und mit dem Motiv eine so aktuelle wie zeitlose Entsprechung für das „stabile – instabile“-Motto gefunden. Mann und Frau, beide nackt, umarmen sich vor verschwimmendem Hintergrund, der eine leer stehende Industriehalle anzudeuten scheint. Es ist eine hilflose Umarmung, die nicht ohne Stützen auskommt. Stützen, die gleichzeitig behindern und in dieser aufgrund der Nacktheit so intimen, so persönlichen und gleichzeitig so verletzlichen Form des Haltsuchens, des Haltgebens, für Abstand sorgen. Was so stabil zu sein verspricht, ist auch durch das wasserluftige Blau der Grundierung eine so fragile, so instabile Verbindung.
Auch Regina Roskoden spielt in ihrer Skulptur „Keil im Haus II“ mit dem Motiv der Partnerschaft. Vier Blöcke aus rotem Granit bilden ein Bausteinhaus, in das Basaltgestein einen Keil getrieben hat. Was hier als äußerliche Gewalt deutlich wird, kann auch als zwischenmenschliche Zerrissenheit gelesen werden, die das Leben in so vielen Familien, in so vielen Häusern zur Hölle macht. Mit ihrer Papiercollage „Bilder zum Golfkrieg“ greift Regina Roskoden dann das Thema der Hölle wieder mit erschütternder Deutlichkeit auf. Das Kinderzeichenspiel „Haus vom Nikolaus“ nutzend, hat sie in einzelne dieser Zeichenstrichhäuser Fotos aus dem ersten Golfkrieg geklebt, auf denen auch tote Kinder zu sehen sind.
Beruhigend und fast schon eine Meditation gleich daneben die Fotografie „Mekka (leaves)“ von Corinna Rosteck, neben den Fotografien von Monika Schulz-Fieguth und Manfred Kriegelstein, dem Bild „Ist das Quadrat stabil“ von Dorit Volland und den Betongüssen „Sisyphos“ und „Chronos II“ von Ute Hoffritz, eine der herausragenden Arbeiten in dieser Ausstellung. Ihr Bild zeigt einen schwarzen Quader, ein Ziegel vielleicht, der in einem flachen Gewässer liegt. Es reicht der Hinweis „Mekka“ im Titel, schon hat man die Kaaba, das zentrale Heiligtum des Islam in Mekka vor Augen. Und wie tausende Pilger die Kaaba umwandern, fließt hier das Wasser um den schwarzen Stein.
Wie in Corinna Rostecks fotografisch-verwirrendem Spiel mit den natürlichen Formen ist in vielen der knapp 60 Arbeiten die Ambivalenz zwischen Gewissheit und Ungewissheit, Sicherheit und Unsicherheit, „stabile – instabile“ zu erleben. Mal deutlicher in der Aussage, mal zurückhaltender, die eigenen Assoziationen und Gedanken herausfordernd, auch mit den ganz persönlichen Erfahrungen eines jeden Betrachters spielend. Nicht immer mit politischen oder gesellschaftlichen Anspielungen, oft auch nur die eigene Wahrnehmung täuschend. Und weil sich diese Ausstellung in der Auswahl der Arbeiten auf Überschaubarkeit beschränkt hat, ist das Wandeln im Stabilen und Instabilen ein Wandeln, das schnell zu einer ganz persönlichen, ganz ambivalenten, immer aber lohnenswerten Entdeckungsreise werden kann.
„Stabile – instabile“ ist noch bis zum 29. Januar im KunstHaus im Ulanenweg 9, mittwochs 11-18 Uhr, donnerstags und freitags, 15-18 Uhr, samstags und sonntags, 12-17 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei
Dirk Becker
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