Kultur: Auf Tauchgängen zur Literatur Durs Grünbein liest heute im Huchel-Haus
In einer Bar auf dem Meeresgrund hocken lauter Berühmtheiten der Weltliteratur in regen Gesprächen beisammen. Es ist dies eine der Bars von Atlantis, in die der Erzähler im Traum abgetaucht ist, das Bild eines Unterwassermuseums, ein Gedicht, welches als Flaschenpost später von einem Leser zufällig gefunden wird und seine Wirkung entfalten kann.
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In einer Bar auf dem Meeresgrund hocken lauter Berühmtheiten der Weltliteratur in regen Gesprächen beisammen. Es ist dies eine der Bars von Atlantis, in die der Erzähler im Traum abgetaucht ist, das Bild eines Unterwassermuseums, ein Gedicht, welches als Flaschenpost später von einem Leser zufällig gefunden wird und seine Wirkung entfalten kann.
In seinem überaus kurzweiligen, vergangenen Herbst erschienenen Essaybändchen „Die Bars von Atlantis“ unternimmt der bekannte Autor Durs Grünbein vierzehn „Tauchgänge“ zu großen literarischen Werken, die das Leben unter der Wasseroberfläche sowie das Reisen übers Meer thematisieren. Homers Odysseus und Herman Melvilles Ahab sieht er dort ebenso sitzen wie Dante, Jules Verne oder Charles Baudelaire, aber auch T.S. Eliot, Virginia Woolf und Bertolt Brecht gehören dazu. Denn die versunkene Insel ist bevölkert von den verstorbenen Autoren aller Epochen, mit denen Grünbein in seinem Werk oft Zwiesprache hält, so auch am heutigen Abend, im Peter-Huchel-Haus, wo er aus seinen Gedichten, Essays und Prosastücken der letzten Jahre lesen wird.
Der 1962 in Dresden geborene und seit 1986 in Berlin lebende Dichter, Essayist und Übersetzer Durs Grünbein zählt zu den bedeutendsten Autoren der Gegenwart. Für sein Werk wurde er bereits vielfach ausgezeichnet, u. a. 1995, als bis dahin jüngster Autor, mit dem Georg-Büchner-Preis für seine ersten vier Lyrikbände. Hatte darin, wie beispielsweise in seinem Erstling „Grauzone morgens“ (1988), noch eine neumodische, formale Freiheit, der ungewohnte Expressionismus seiner scharfen Momentaufnahmen dominiert, so bestimmte später der Rückgriff auf antike Stoffe – Grünbein übersetzte u. a. auch Theaterstücke von Aischylos oder Seneca neu – und vor allem die Formen der alten Meister Grünbeins Dichtung, worin er seinem einstigen Mentor und frühen Förderer Heiner Müller gleicht.
Dabei ist Grünbeins Lyrikerstimme bestechend radikal, ja unverwechselbar geblieben. Wie ein Blick in den jüngeren Gedichtband „Strophen für übermorgen“ (2007) zeigt, beherrscht er virtuos, mit höchster sprachlicher Raffinesse das Spiel mit den klassischen, immer wieder experimentell aufgebrochenen Versmaßen, worin seine „Poetik der zerfallenden Ganzheit“ zum Ausdruck kommt.
Aber auch in seinen Aufsätzen und Essays weiß Grünbein in charmanter Weise zu überzeugen. Ohne den theoretischen Anspruch einzubüßen, erzählt er in „Die Bars von Atlantis“ eine schöne Geschichte der uralten Schifffahrtsmetapher, versteht er es durchweg, seine zentralen Ideen mit einer erfreulich zugänglichen und an Gleichnissen so reichen Prosasprache anschaulich zu machen und dabei noch sehr präzise zu formulieren. Der Essayist Grünbein ist ein umherreisender Beobachter und Erzähler, dem man nicht nur in die Unterwasserwelt, sondern, auf der Suche nach einer Wandmalerei, auch in die Sommerhitze Griechenlands, in alte Bauwerke hinein folgt. Dann aber ist es plötzlich der Anblick eines einfachen Möbelwagens, der den Begriff der Metapher am praktischsten vor Augen führt, transportiert jener doch „Bedeutungslasten von hierhin nach dorthin, und im Fahrhaus sitzen die Dichter und palavern und steuern“.
Durs Grünbein hat sich von einem auffälligen Newcomer der Literaturszene zu einem längst auch international gewürdigten Klassiker der Gegenwart gemausert. Die immer wiederkehrenden Grundthemen seines umfangreichen Werks und Selbstbefragungen zu Poetologie und der eigenen Position sowie die Vielschichtigkeit der in seinen Texten behandelten Stoffe sprechen für eine komplexe Werkbiografie.
Im März 2010 ist seine am 1. Dezember vergangenen Jahres gehaltene Frankfurter Poetik-Vorlesung „Vom Stellenwert der Worte“ als Sonderdruck erschienen. Darin erörtert Grünbein die Prinzipien und Grundlagen zeitgenössischen dichterischen Schreibens und zwar aus seiner Perspektive und mit Blick auf sein eigenes Werk. Denn wenn sich die Texte Jahre später regelmäßig in den Schleppnetzen der Anthologien und Sammelbände wieder finden, ist es der Autor selbst, der die Flaschenpost entkorken und Stellung beziehen muss. Daniel Flügel
Durs Grünbein liest am heutigen Dienstagabend um 20Uhr im Peter-Huchel-Haus, Hubertusweg 41, Michendorf /OT Wilhelmshorst. Der Eintritt kostet 6, ermäßigt 5 Euro.
Daniel Flügel
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