
© A.Sommer/ I Confidenti
Kultur: Auf traurigem Gipfel
Auf dem Theaterschiff hatte „Der Virtuose“ als Koproduktion mit dem Musiktheater-Ensemble „I Confidenti“ Premiere
Stand:
Schon der Beginn der Vorstellung von „Der Virtuose“ ist kein gutes Zeichen. Im trotz Premiere nur halb besetzten Theaterschiff erklimmt ein Herr im dunklen Anzug die Bühne und gibt eine langatmige Erklärung über die ausgebliebene Förderung des Landes zum Besten. Dafür sei die Stadt eingesprungen, was wiederum zulasten des Ensembles „I Confidenti“ ging. So habe man sich zusammengetan und aus „Hingabe an die Kunst“ diesen Abend produziert, zu dem erfreulicherweise auch die städtische Kulturbeigeordnete samt Gatten gekommen sei. Da fragt sich der Besucher, ob er nicht gerade in einer Sitzung des Kulturausschusses gelandet ist. Die hohen und devoten Worte im Leideton, die raunenden Beschwörungen von Kunst und Hingabe, vermischt mit etwas trotzigem Widerstand passten indessen gar nicht so schlecht zu dem, was folgte.
Ende der 1980er-Jahre richtete sich das Interesse auf die Opernwelt der prärevolutionären Epoche und damit auf den männlichen Koloraturgesang in hoher Lage, die größte Künstlichkeit beim Gesang überhaupt. Plötzlich wurde wieder Mode, was Friedrich Schiller einst in den Räubern entrüstet kommentiert hatte: „Pfui! pfui. Über das schlappe Kastratenjahrhundert, zu nichts nütze, als die Taten der Vorzeit wiederzukäuen und die Helden des Altertums mit Kommentationen zu schinden und zu verhunzen mit Trauerspielen. Die Kraft seiner Lenden ist versiegen gegangen und nun muß Bierhefe den Menschen fortpflanzen helfen.“ Heftige Kritik äußerte auch der Spanier Estéban Arteaga an dem alten Brauch, dass man „so vielen weniger schuldigen als unglücklichen Wesen die Mannheit raubt, um dem Ohr mit dem eitlen und unnützen Vergnügen des Gesanges zu schmeicheln, um ein eigensinniges, müßiges und verdorbenes Publikum in seinem Überdruß zu befriedigen“. Indessen zählen solch aufklärerische Einwände in jüngster Zeit kaum noch, zumal es ja plötzlich jede Menge singende Männer gibt, die dem Gesang der alten Opera seria auch ohne vorherige Verstümmelung Ausdruck gegeben können. Zugleich erschien jede Menge Literatur zu dem längst ad acta gelegt geglaubten Phänomen der Kastraten und ihres Gesangs.
Es passte also in unsere Zeit wankender Geschlechterrollen und des „Gender Mainstreaming“, als die Niederländerin Margriet de Moor im Jahr 1994 ihren Roman „Der Virtuose“ veröffentlichte. Die erzählerische Entdeckung der prämodernen Kastratenkunst lag sozusagen als Spiegel für postmoderne Sehnsüchte in der Luft. Es geht um die Liebe einer verheirateten Dame aus bester Gesellschaft zu einem Kastraten oder besser zu dessen Stimme, wobei nicht nur musikalische, sondern auch pornografische Details geradezu oberlehrerhaft genannt werden. Wie es mit der Liebe zwischen einer Frau und einem Entmannten mit „weißen, weichen gerundeten“ Lenden überhaupt zugehen kann, ist schon erstaunlich. Doch mit geradezu missionarischer Beredsamkeit versucht die Autorin einem abgehobenen Gedankengerüst Leben einzuhauchen. Inhaltlich passiert kaum etwas, die heiße Affäre wird vom Kastraten beendet und die Dame flüchtet sich in ihre Erinnerungen.
So beginnt auch die kaum mehr als einstündige Vorstellung auf der Bühne des Theaterschiffs. Rechts und links stehen zwei Kronleuchter mit brennenden Kerzen, im Hintergrund ein grünes Cembalo und vorne rechts sitzt eine weiß-rot gewandete Matrone (Andrea Brose). Dass sie einst die junge, liebessüchtige Contessa Carlotta war, erfordert einige Vorstellungskraft. Elegisch, matt und geziert sind ihre Monologe, die zudem zum überwiegenden Teil abgelesen werden, kaum bewegt Mimik und Gestik. Dann erscheint das Objekt ihrer Begierde, ein groß gewachsener, dunkelhaariger Beau in weißen, wallenden Gewändern mit einem neckischen roten Wams um die Hüften (Kostüme und Bühne: Christine Jaschinsky).
Razek-François Bitar, ein Altus aus Syrien, gibt sieben Arien zum Besten, begleitet von eifrigem Cembalogeklingel (Mira Lange). Der Duktus ist langsam, klagend und mühevoll, die Gestik steif, was wohl „historisch informiert“ gemeint ist. Ob es nicht überhaupt eine Vermessenheit ist, solch grandiose Arien wie Händels „Furibondo spira il vento“ und „Empio dirò tu sei“ auf diese Art zu präsentieren, muss hier gefragt werden. Denn von dieser hinreißenden, temperamentvollen Musik bleibt nur noch abgestandener Trübsinn übrig. Einen traurigen Gipfel bildet das „Stabat Mater“ samt „Quam tristis“ von Vivaldi, das die dreiste Hybris des Unternehmens (Einrichtung: Martina König) einmal mehr offenbart. Jede Schüleraufführung bietet mehr Lebendigkeit und echte Hingabe als dieses missglückte Stück.
Nächste Aufführung: Samstag 24. Mai, 20 Uhr, Theaterschiff, Schiffbauergasse 9b
Babette Kaiserkern
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