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Kultur: Auf Vatersuche

Brigitte Biermann las im Frauenzentrum Geschichten über Töchter ohne Väter

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Brigitte Biermann las im Frauenzentrum Geschichten über Töchter ohne Väter Pippi Langstrumpf erfindet sich den abwesenden Vater Efraim als König im Taka-Tuka-Land. Und alles endet gut. In der Realität aber kann die Phantasie nicht immer über gravierende Mängel hinweghelfen. Über die psychologischen Auswirkungen der Abwesenheit der Väter für die Söhne wurde ausgiebig gemutmaßt, geforscht und geschrieben. Nicht so über die Folgen für die Töchter. Diesen Mangel wollten Brigitte Biermann und Ingeborg Bellmann mit ihrem soeben im Ch. Links Verlag erschienenen Buch „Vatersuche“ entgegen wirken. Verbindend war für beide Autorinnen das ähnliche Schicksal. Beide wuchsen ohne leiblichen Vater auf. Erst als junge Frauen erfuhren sie von den Müttern zögerlich die Wahrheit. Begaben sich auf die beschwerliche Suche nach der zweiten Hälfte ihres Seins. Auf der Suche nach Schicksalsgenossinnen wurden sie schneller fündig. Nur 20 Lebensgeschichten konnten sie dann in ihrem Band aufnehmen. Erklärte Brigitte Biermann bei der Buchvorstellung im Literaturladen Wist. Zu der sie allein kam. Auf Einladung des Frauenzentrums Potsdam. Die Geschichten erzählen von Frauen, die zwischen 1943 und 1971 in Deutschland geboren wurden. Die Biografien sind nach vier Themen gebündelt: das Bild des Vaters, das Schweigen der Mutter, die gute und die böse Realität des Vaters. Drei exemplarische Geschichten wählte Brigitte Biermann für die Lesung. Gabi wurde 1955 in Frankfurt geboren und wuchs bis zum vierten Lebensjahr im Heim auf. Als die Mutter sie zu sich holte, ist sie mit einem fremden Mann verheiratet, der ihr als Vater „verordnet“ wird. Nur bruchstückhaft hebt Gabis Erinnerung die ersten Lebensjahre auf. Erst in der Schule beginnt sie sich wohl zu fühlen. Hier wird sie geliebt und anerkannt. Hier erfährt sie auch, dass sie einen anderen Namen als ihre Mutter trägt. Nur wenig ist über ihre Herkunft von der Mutter zu erfahren. Mit elf Jahren weiß sie, dass ihr Vater Amerikaner ist. Sehr früh verlässt sie das Elternhaus. Mit vierzig Jahren wird die Kenntnis über ihre Identität für sie immer dringlicher. Mit den wenigen Anhaltspunkten, die sie von der unwilligen Mutter erhält, wird die Suche ein mühsames Unterfangen. Endlich kann sie ihrem Vater einen Brief schreiben. Als er sicher ist, dass die Tochter keine Geldforderungen an ihn stellen wird, kommt er nach Deutschland. Er ist ganz anders, als sie sich den Vater erträumte: klein, ältlich und ein unverständliches Virginia-Englisch sprechend. In den USA lässt der Vater später einen Vaterschaftstest machen, der ist negativ. Sissys Geschichte beginnt 1961 in einer kleine Stadt am Main. Da war die Mutter 20-jährig und unverheiratet. Sie kommt zur Großmutter. Als die Mutter später heiratet, holt sie Sissy in die Familie. Erst mit vierzehn Jahren erfährt sie, dass ihr Stiefvater nicht der leibliche Vater ist. Auch hier zieht sich eine Mauer aus Schweigen und Verdrängen um die Tochter. Zerstört alle Bindungen. Sie geht nach Berlin. Auch ihre eigenen Beziehungen gelingen nicht. Zum 42.Geburtstag wünscht sie sich von der Mutter die „Wahrheit“. Die Mutter bricht die Beziehung ab. Zum Abschluss eine Geschichte, die glücklich endet, wie Pippi Langstrumpf. Karin wurde 1956 auf Rügen geboren. Kurz darauf verließ ihre Mutter mit den Großeltern die DDR. Der Vater reiste ihnen nach. Ging aber bald wieder in die DDR zu seiner Familie zurück. Eine Erinnerung an den Vater blieb Karin nicht. Nur den Namen hörte sie von den Großeltern. Und ein Foto konnte sie anschauen. Als sie als Taxifahrerin in Bochum arbeitet und zum zweiten Mal verheiratet ist, sucht sie ihren Vater in Berlin. Und findet ihn. Er ist nicht mehr so schön wie auf dem Foto. Aber herzlich. Und Kraftfahrer wie Karin. Lange bleibt es still im Leseraum. Die authentischen Geschichten rühren an. Machen sprachlos. Bis sich eigene Geschichten entspinnen. Geschichten von der Abwesenheit. Von Vätern und Müttern. Barbara Wiesener

Barbara Wiesener

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