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Kultur: Auf Wurzelsuche in Tschechien Saisonfinale des Neuen Kammerorchesters

Nun also ist das Ziel der ersten Route der musikalischen Europareise erreicht. Zum Finale seiner Konzertsaison landet das Neue Kammerorchester Potsdam unter Leitung von Ud Joffe „Tschechien“.

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Nun also ist das Ziel der ersten Route der musikalischen Europareise erreicht. Zum Finale seiner Konzertsaison landet das Neue Kammerorchester Potsdam unter Leitung von Ud Joffe „Tschechien“. Und ist in der Erlöserkirche auf der „Suche nach Wurzeln“ – denen der Wiederentdeckung und des Wiedererstehens selbiger Nation. Sprache, auch die der musikalischen Art, schafft dabei die erforderliche Identität. Dafür stehen vor allem Bedrich Smetana und Antonín Dvorák ein. Beider Werke atmen den Geist der Volksmusik, sind getragen von stolzem Nationalbewusstsein. Vorrangig an Literaten des 19. Jh. dachte Milan Kundera, als er 2005 seine Textsammlung „Der Vorhang“ veröffentlichte. Das meint nicht nur den eisernen, sondern einen jeglichen, durch den die Tschechen einst an den europäischen „Katzentisch“ verbannt waren.

Aus diesen Prosatexten liest der Potsdamer Schauspieler K. Dieter Klebsch in schlichter, aber umso eindringlicher Diktion längere, geschichtsträchtige Passagen, mit denen die zwischendurch gespielte Musik in einen neuen Kontext gestellt werden soll. Der Prager Frühling von 1968 mit blutiger Niederschlagung durch Warschauer Paktstaaten nimmt dabei genauso breiten Raum ein wie Anmerkungen über ein ominöses „Zentraleuropa“. Über die „Irreparable Ungleichheit“ von München 1938 sinniert „Der Mann aus dem Osten“, wie sich der nach Frankreich emigrierte Kundera in einem Kapitel bezeichnet. Weitschweifig philosophiert er über nationale Identifikationen und „die goldenen Ketten der Revolten, die das Ende des Ostimperiums eingeläutet haben“. Doch waren die meisten Leute nicht eigentlich gekommen um Musik zu hören?!

Die eingefügten Musiknummern werden nach Joffes Wunsch und Wille nach entsprechendem Textinhalt umgedeutet: durch Ausdrucksänderungen gegenüber den Originalen, unverständliche Temporückungen, dynamische Verschiebungen. Sturzbachgleich eilt sie dahin, die Ouvertüre zur „Verkauften Braut“ von Smetana, die sich knallig, ja bärbeißig, preußisch zackig und total unidiomatisch zu einem sinfonischen Okkupationsdrama aufbläht. Heiteres bleibt nicht nur hier total ausgeblendet. Zerdehnt zelebriert der Dirigent Dvoráks Slawischen Tanz op. 72 Nr. 2, Paraphrase einer ukrainischen Dumka, als Kronzeugen für das Leiden des tschechischen Volkes. Unter wem wohl? Martialisch rast der feurige g-Moll-Furiant (op. 46 Nr. 8) in die Gehörgänge. Und der „Moldau“-Hit aus Smetanas „Mein Vaterland“-Zyklus? Ihm geht jede klangliche Eleganz und geheimnisvolle Atmosphäre, jeder seelenerwärmende Charme verloren, dafür lärmt es nicht erst an den St. Johannes-Stromschnellen sehr effektvoll. Poetisch zeigt sich allerdings die harfenumspielte, nymphengleich emporsteigende Erinnerung an die Vergangenheit. Zum Schluss ertönt Heroismus mit Brachialgewalt.

Begeisterung allenthalben. Auch nach der Wiedergabe von Dvoráks 8. Sinfonie G-Dur op. 88 ist das Publikum hingerissen. Denn nun sind ihm, überwiegend überzeugend, die Wurzeln des Tschechenseins detailreich offenbart. Vom Text-Korsett befreit, blüht und grünt es in Böhmens Hainen, Fluren und Wäldern, ist nunmehr die pastorale Poesie deutlich vernehmbarer. Besonders in lauten Passagen wird kurz angebunden artikuliert. Kämpferisch geht’s da zu und auch kontrastbetont, schwelgerisch nicht immer. Wenn die Sinfonie denn so und nicht anders musiziert werden muss, dann geschieht es wenigstens konsequent. Lärmend entlädt sich die Stretta des Allegrofinales. Ebenso der Beifall. Peter Buske

Peter Buske

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