Kultur: Auf Zehenspitzen absolvierte Huldigungen
„Barocke Weihnacht“ mit Christine Schäfer und dem Nikolai Consort im Nikolaisaal
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„Barocke Weihnacht“ mit Christine Schäfer und dem Nikolai Consort im Nikolaisaal Von Peter Buske Dass sie schwanger gewesen wäre, sah man ihr tatsächlich nicht an. Dennoch war es so. Und so gebar die Kammerakademie Potsdam ihren ersten Sohn, wickelte ihn in (Noten-)Windeln und nannte ihn Nikolai Consort. Was nichts anderes bedeutet als eine instrumentale Spielgemeinschaft, die sich der Pflege alter Musik mit historischen Instrumenten widmen will. Doch davon gibt es landauf, landab gar viele, wovon immer wieder hör- und sehenswerte Kunde auch nach Potsdam dringt. Gleich den Weisen aus dem Morgenland eilten Hunderte von „Hirten“ am 2. Feiertag herbei, um das holde Kind in seiner proppevollen Herberge, dem Nikolaisaal, zu besichtigen. Der erste Eindruck trog sie nicht, und so konnten sie in dieser modernen Weihnachtsgeschichte gleich dem oratorischen Bach-Vorbild alsbald jubilieren: „Auf denn! Wir stimmen mit euch ein, uns kann es so wie euch erfreun.“ Kaum ein besserer Anlass für dieses Debüt ließ sich denken, als die festtägliche „Barocke Weihnacht mit Christine Schäfer“ stilvoll zu begleiten. Das von Kammerakademiechef und Barockfagottist Sergio Azzolini geleitete Nikolai Consort stellte sich nicht nur klanglich, sondern auch optisch mit einem dreigeteilten Platzarrangement ins hellste Podiumslicht: links die Violinen; rechts Bratschen, Violoncello und Kontrabass; in der deutlich davon abgesetzten Mitte die Continuogruppe mit Cembalo (Beni Araki), Theorbe (Andreas Ahrend), Violoncello (Anna Carewe) und Fagott (der Meister persönlich). Wer spieltechnisch konnte, musste stehgeigerische Qualitäten besitzen. Sie alle hatten das Kompendium der Alten-Musik-Szene gründlich studiert, um den Erfordernissen historisierender Spielweise in Maßen zu entsprechen. Forcierte Bogenstriche erzeugten die fast unumgänglichen, leicht schärflichen und etwas schroffen, mitunter sogar abweisenden Klänge, die man sich von solcher Vorgehensweise erwartet. Doch wurde der Eindruck durch ein klitzekleines Vibrato immer wieder gemildert, was dem Spiel einen ungemein differenzierten Harmoniereichtum schenkte. Zu bewundern im ungewöhnlich besetzten Konzert D-Dur für zwei Soloviolinen, Fagott, Streicher und Basso continuo von Georg Philipp Telemann. Rhetorisch sehr eindringlich parlierten Bernhard Forck und Florian Donderer auf den Saiten, während sich Sergio Azzolini wie ein Diabolus immer wieder in den Geigenwettstreit einmischte. Solche anspringende Musizierlaune zeichnete auch Johann Sebastian Bachs (rekonstruiertes) Konzert c-Moll für Oboe, Violine, Streicher und B.c. aus. Der virtuose Wettstreit zwischen dem geschmeidigen, unendlich weichen Gesang der Oboe (Emma Davislim) und dem draufgängerischen Auftrumpfen der Violine (Bernhard Forck) kannte nur Sieger. Beide klangen im Adagio-Satz wie instrumentale d''amore-Ausführungen! Dass die Intonation bei allen Instrumentalisten vom Feinsten war, bedarf eigentlich keiner Erwähnung. Auch nicht, dass das vitale, federnde, von Spontaneität schier berstende und gleichsam auf Zehenspitzen absolvierte Spiel den ausgefuchstesten Vokalkapriolen von Christine Schäfer die pfiffigste Vollendung schuf. Nur vom Continuo begleitet, sang die Sopranistin das Weihnachtskonzert „Natus est Jesus“ von Philipp Friedrich Böddecker (1607-1683) so einschmeichelnd und lieblich, dass darob des Staunens kein Ende schien. Verzierungsreich und virtuos sang sie die lateinischen Verse, schlicht die dazwischen geschobenen Strophen des Liedes „Joseph, lieber Joseph mein“. Schwelgerisch und reich schattiert verströmte sie Telemanns weihnachtliche Erkenntnis „Was gleicht dem Adel wahrer Christen“, dabei unterstützt von offenherzigem Oboengefühl. Der Sängerin faszinierend abgetönte Mittellage konnte hierbei nach Herzenslust und entsprechender Textvorlage herrlich vornehm gestalten. Schmelz und Koloraturengeläufigkeit verbanden sich in den weltlichen, opernnah vertonten Kantaten „Che giova il sospirar“ und „Vengo a voi“ von Antonio Vivaldi mit dem Adel ihrer bezaubernden Stimme zu einem vokalen Vergnügen der besonderen Art. Wovon sie geschmeidig und elegant sang, ließ sich nur erahnen, denn dem Abdruck des italienischen Textes fehlte die deutsche Übersetzung. Von „cupido“ ging die Rede, von „la bella Irene“ und „volontario“, von „l''amor“ und „la morte“, was auf Liebesvergnügungen und -folgen zu verweisen schien. Beide Arien sind von den freudig-virtuosesten Affekten beherrscht. Entsprechend überzeugend drückten sie sich aus. „Dass du, o lang gewünschter Gast, dich nunmehr eingestellet hast“ lobsingt das Finale der zweiten Kantate des „Weihnachtsoratoriums“. Die Zuhörer bestätigten diese Feststellung durch begeisterten Beifall. Ihm dankten die Künstler mit der Arie „Nur ein Wink von seinen Händen“ aus der sechsten Kantate der Bachschen Sammlung. Das nächste Konzert der Kammerakademie Potsdam ist ein unterhaltsames Silvesterprogramm mit italienischer und italienisch inspirierter Musik: „Bella Italia“. Die Leitung hat an diesem Nikolaisaal-Abend der gebürtige Taiwanese Kimbo Ishii-Eto.
Peter Buske
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