
© Marion Kollenrott
Kultur: Auf zeitlosen Traumpfaden
Die Lorca-Hommage „La Luna, Luna“ vom Wandertheater Ton & Kirschen hatte Potsdam-Premiere im T-Werk
Stand:
Poesie ist mehr als plattes Bildwerk und Realismus weniger als Fantasie. Niemand weit und breit wüsste das besser als die internationale Theatertruppe Ton & Kirschen. Wie oft haben die Neu-Glindower realistischen Stücken einen fantastischen Hut aufgestülpt, aus gedachten Worten Kunst gezaubert. Wer außer ihnen hätte sich so nachhaltig zu den Wurzeln des Dionysischen Spiels bekannt, zu Masken, Verkleidungen, Tüchern, Puppen? Die Truppe um Margarete Biereye baut ihre Requisiten selbst, jeder spielt zumindest ein Instrument, ihr Spielfeld ist fast immer eine Off-Bühne. Ganz selten ist auch mal ein Dach darüber, wie am Donnerstag im T-Werk. Da war die ziemlich späte Potsdam-Premiere der neuen Produktion „La Luna, Luna“ zu erleben, eine scheinbar einschichtig geratene Hommage auf den spanischen Dichter Federico García Lorca. Seelenverwandtschaft zwischen ihm und ihnen nicht nur durch den ewigkeitsverdächtigen Themenkreis Tod und Liebe, sondern auch in Sachen Wandertheater: 1932 zog der Poet selbst mit seiner Wandertruppe „La Barraca“ durch spanisches Land. Der Titel der Ton & Kirschen-Eigenproduktion „La Luna, Luna“ bezieht sich auf das erste Gedicht des 1928 erschienenen „Zigeunerromanzero“, der Lorca schlagartig und nachhaltig weltberühmt machte.
„Doch die Stadt war ohne Furcht / und vervielfacht’ ihre Tore. 40 Guardias Civiles dringen durch sie ein und plündern“. Besagte Stadt war eine Zigeunerstadt, die Brandschatzer und Vergewaltiger aber könnte man mit den militärischen Truppen mancher Länder heute vergleichen. Damals wie jetzt lässt die Staatsmacht in eigener Sache nicht mit sich spaßen: 1936 wurde Lorca auf einem südspanischen Acker von jener Zivilgarde hingerichtet, deren Verbrechen er besang. Auch in der „Romanze vom Monde, vom Monde“ gibt es Eindringen, ein Sterben, als Frau Mond ein Kind vor den anreitenden Zigeunern rettet: „Luna zieht dahin am Himmel / hält an ihrer Hand ein Kind“. Es ist ein totes Kind.
Zwei Möglichkeiten gibt es, sich auf diese wirbelbunte Collage aus abgrundtraurigen und übermütigen Szenen, aus Masken- und Puppenspiel, Gesängen und Tanz einzulassen: Entweder folgt man Ton & Kirschen als Eingeweihter auf ihrer völlig distanzlosen Suche nach Lorca, der ja in starrer Präsenz in vielen Szenen persönlich auftaucht. Oder man lässt die anderthalbstündige Inszenierung gleichsam von außen her auf sich wirken, man sieht ja nur, was man weiß. In der ersten Variante wirkt diese kollektive Regiearbeit ungeordnet und unvollendet. Man spielt Sequenzen aus seinen Dramen, gibt lyrische Rezitationen, zeigt den Poeten auf Reisen bis ins müllbesäte New York. Da sucht der gehörnte Bräutigam nach seiner durchgebrannten Braut. Slapstick steht neben gutturalem Romanzengesang, ein folgenlos bleibendes Puppenspiel zu Beginn neben realistisch gespielten Szenen aus Lorcas „Bernarda Albas Trauerhaus“ mit Mord und Selbstmord am Ende. Kurzum, wer Lorcas Werke nicht kennt, wird sich wohl etwas ratlos fühlen zwischen den vier stabilen Türen, die das Bühnenbild geben. Zuletzt ziehen zwei Puppen in homosexueller Umarmung durchs Weltmeer davon. Hübsch, aber fern: mehr Epos als Drama, mehr Elegie als Handlung, eine breit angelegte Darstellung ohne besondere Tiefe. Wie die Spielszenen, bei oftmals schlecht zu verstehender Sprache, einfach nur nebeneinandergestellt sind, so reicht auch die Musik vom oratorischen Bach bis zum Volkslied, von Schostakowitsch bis zur herben Trommel-Improvisation. Der rezeptive Gewinn ist gering, zu viel Luft zwischen der Intention des Titels und dem tatsächlichen Spiel – die Verwandlung von Wirklichkeit in Poesie ist höchstens partiell gelungen. Das Publikum dankte dem Ensemble trotzdem für ihr fremdartiges Spiel mit Puppen und Menschen, für einen so stimmungs- wie facettenreichen Abend.
Die zweite Variante schert sich erst gar nicht um die Statements der Truppe. Sie nimmt die teils aberwitzige Behauptung der Szenen, von Bildern und Einfällen, den Wechsel von Stimmung und Stilen, den Wechsel der Abläufe, als eine Welt für sich. Derart losgelöst von Wirklichkeiten, von den Fesseln der Ratio, wird das Spiel zur Fantasie, zu einem Geheimnis ohne erkennbare Regeln. Jetzt bekommt die starre Maske von Lorca ihr Leben. Was da mit Luna und mit dem Kind auf dem Amboss passiert, ist eine Vision im Dämmerschein, alles ist plötzlich Traum, wo in strikter Umkehr die Puppen echt und die Menschen wie Karikaturen wirken. Die inneren Gesetze dieser Bilderfolge bleiben, wie im wirklichen Träumen, unbekannt, dafür sorgt die Wahrheit der Bühne. Nun braucht es auch keine Dramaturgie mehr, die Sache läuft, wie sie läuft, und bleibt doch immer wahrhaftig. Da waren irgendwann in Spanien mal Poesie, und Politik, und irgendwie mischte sich das, und Tode gab es, das Kind und den Dichter. Und alles geschah, als die Stadt der Zigeuner gebrandschatzt wurde, nebeneinander geschah es, nicht nach dem Ablauf der Zeit.
Wieder heute und morgen, jeweils 20 Uhr, im T-Werk in der Schiffbauergasse. Der Eintritt kostet 12, ermäßigt 8, für Schüler 6 Euro
Gerold Paul
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