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"Der eindimensionale Mensch wird 50": Aufruf zur Verweigerung
Am Wochenende wird dem Philosophen Herbert Marcuse mit Musiktheater im Spartacus gehuldigt
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50 Jahre ist es her, als der deutsch-amerikanische Soziologe und Philosoph Herbert Marcuse 1964 in den USA sein Werk „The One-Dimensional Man“ veröffentlichte, das etwas später auch in Deutschland verlegt wurde – mit dem Untertitel „Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft“. Marcuse, immerhin eine Ikone der kritischen Theorie, brach mit seiner Abhandlung in eine Zeit, in der es sowieso schon potenziell brodelte: Noch herrschte Ruhe, aber in den folgenden Jahren wurde das herrschende System immer mehr herausgefordert, und zwar überall: 1965 begannen die USA mit den ersten Bombenangriffen auf Vietnam, in deren Folge die Bevölkerung gegen die Regierung aufbegehrte. Im Mai 1968 wurde die Pariser Sorbonne geräumt, was zu heftigen Protesten führte, und auch in Westdeutschland gaben die Ereignisse einer ganzen Generation eine Marke: die 68er.
Nachdem im vergangenen Jahr der Hamburger Theatermacher Thomas Ebermann bereits mit seiner Inszenierung von „Der Firmenhymnenhandel“ im Spartacus in der Friedrich-Engels-Straße zu Gast war, ist er am kommenden Wochenende mit einem neuen Theaterstück zu erleben, mit dem das Ensemble gerade auf Europa-Tour ist: „Der eindimensionale Mensch wird 50“. Was sich nach schwer verdaulicher soziophilosophischer Systemkritik anhört, ist aber durchaus anschaulich verpackt – in einen unakademischen Abend, der dem gesunden Menschenverstand gar nicht huldigen will. Ein Musiktheater, mit dem Schauspieler und Musiker Robert Stadlober – der momentan noch im Kinofilm „Diplomatie“ des Potsdamer Regisseurs Volker Schlöndorff zu sehen ist – , Journalist und Musiker Kristof Schreuf, Andreas Spechtl („Ja, Panik“) und der Publizist und Grünen-Gründungsmitglied Thomas Ebermann dem „Philosophen der Neuen Linken“ Herbert Marcuse einen ganzen Abend widmen.
Dass ausgerechnet Marcuse aus der vermeintlichen Versenkung geholt wird, kommt natürlich nicht von ungefähr, ist sein Porträt des „Eindimensionalen Menschen“ doch heute noch das, was die Mehrheit der Menschen in den Industrieländern auszeichnet: Marcuse kritisierte das eindimensionale und positivistische Denken, das dem Mainstream einer Wohlstandsgesellschaft entsprach und entspricht. Statt Ungleichheit durch den Kapitalismus zu beseitigen, würden die Probleme nur verwaltet und neu reproduziert. Dabei beleuchtet Marcuse einen Aspekt, der von der Kapitalismus-Kritik Karl Marx‘ noch nicht erkannt werden konnte: die Manipulation des Individuums durch die suggestive Kraft der Konsumwerbung. Doch Marcuse belässt es nicht allein bei der Analyse der Verhältnisse und schlägt die Lösung gleich selbst vor: die große Verweigerung.
Klar, dass diese Idee einer Verweigerung eine inspirierende Quelle für die Bewegung der 68er darstellte. Nun ja, kritische Stimmen behaupten immer noch, dass damals keiner der Revoltisten dieses Buch wirklich gelesen hätte. Denn zur Erklärung der Revolten wurde es zwar herangezogen, taugte aber nicht wirklich dazu.
Aber dass wachsender Konsum immer mit wachsender Unfreiheit daherkommt, sollte einem aufmerksamen Geist nicht verborgen geblieben sein – und mit dieser Erkenntnis, gleichzeitig eine bissige Kritik an der „Hölle der Gesellschaft im Überfluss“, trifft Marcuse mit Sicherheit auch heute – und vielleicht gerade heute – den Nerv der Zeit. Ob der musikalisch-theatralische Abend unter dem Titel „Der eindimensionale Mensch wird 50“ jedoch den Aufruf zur großen Verweigerung in sich trägt und genauso umgesetzt wird, werden die Potsdamer ja nach diesem Wochenende erleben. Und auch wenn die große Revolte ausbleibt: Nachdenken sollte man zumindest darüber.
„Der eindimensionale Mensch wird 50“ wird am Freitag, dem 14. November, und Samstag, dem 15. November, jeweils um 20 Uhr im Spartacus in der Friedrich-Engels-Straße 22 zu erleben sein. Der Eintritt kostet 12,80 Euro. Es sind nur noch Karten für Samstag erhältlich.
Oliver Dietrich
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