
© Promo
Von Andrea Schneider: Aufrührerische Sogwirkung
Jan Plewka gastierte mit seiner ganz persönliche Liebeserklärung an Rio Reiser am Hans Otto Theater
Stand:
Rio, der Revoluzzer, Rio, der das Meer liebt, Rio, der Romantiker. All diese Facetten und die Brüche des 1996 verstorbenen Sängers Rio Reiser wurden lebendig, als Jan Plewka, Sänger und Gitarrist der Band Selig am Samstagabend auf der Bühne des Hans Otto Theaters stand und zusammen mit der Hamburger Schauspielhausband Schwarz-Rote Heilsarmee seine ganz persönliche Liebeserklärung an den Ton Steine Scherben-Begründer und Solokünstler lieferte.
Die Erwartungen des zahlreich erschienenen Publikums waren sicher groß. Rio hatte mit seinem Rauch-Haus-Song in den 80er Jahren eine Hausbesetzerbewegung losgetreten, die auch im Osten des Landes ihre Nachahmer fand und Berlin genauso erfasste, wie Potsdam. Mit großer Wahrscheinlichkeit wollte man sich noch einmal erinnern an die Zeit des eigenen politischen Aufbegehrens.
Oder an die späteren Jahre des Künstlers, der ruhiger wurde und mit „Junimond“ oder „Für immer und dich“ die leiseren Töne anschlug. Würde Jan Plewka das Idol aus Jugendjahren noch einmal auferstehen lassen können? Er konnte. Und blieb trotzdem er selbst.
Immer wieder hört man in den Songs den unverkennbaren Plewkasound, und trotzdem ist es auch der sensible, verletzliche, wütende Rio, der da über die Bühne tobt bei „Irrenanstalt“. In übergroßem weißem Hemd, von Rio beispielsweise auch bei einem Hamburger Konzert 1982 getragen, hält er das Mikro dicht vor dem Mund und berührt durch pures, schier überbordendes Gefühl und intensives Minenspiel. Hier hat einer seinen Rio wirklich studiert und zeigt ihn, musikalisch und auch szenisch, in seiner ganz persönlichen Entwicklung vom Agitpopper bei den „Scherben“ bis zum Solokünstler, der sich auf seine Liebe zum Meer besinnt und viel Sehnsuchtsvolles in seine Texte legt.
Plewka und Band sitzen also am Lagerfeuer und singen zusammen mit dem Publikum „...das ist unser Haus!“, sie ziehen durch die Reihen, die Sammelmütze in der Hand, das Lied „Der Turm stürzt ein“ im Gepäck und bitten das Publikum frech um etwas Geld für Bier, sie rocken, trinken und rauchen auf der Bühne und versuchen, noch einmal etwas von der Atmosphäre vergangener Rio-Konzerte einzufangen. Immer mal wieder gibt es auch ein Innehalten, Zeit, sich zu erinnern, eine leise Passage, ein Liebeslied wie „Für immer und dich“, für das Plewka sogar eine junge Frau aus dem Publikum ansingt, sie kurzerhand auf die Bühne holt und mit ihr auf dem Boden kugelt, unbeschwert und scheinbar liebestrunken.
Schön auch die Szene, in der die Band sich klammheimlich von der Bühne schleicht und Jan Plewka alias Rio allein bleibt mit Lieven Brunckhorst, der musikalisch sowohl am Klavier, als auch am Akkordeon, dem Saxophon oder der Klarinette engagiert ist. Scheinbar improvisiert wird hier eine Situation inszeniert, in der Plewka spontan selbst ans Schifferklavier soll und schließlich solo „Unten am Hafen“ spielt.
Sicher funktionieren die Politsongs wie „Keine Macht für niemand“, der Rauch-Haus-Song oder „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ hier im Publikum mit überwiegender Ostvergangenheit am besten. Auch wenn die Scherben sich nie als „Jukebox der Linken“ missbraucht sehen wollten, lies sich die Sogwirkung, die die aufrührerischen Songtexte entwickelten, nicht verhindern. Und gerade in einem unfreien Land wie der damaligen DDR gewannen die sicher doppelt an Bedeutung und Kraft.
Und so lässt sich auch das Potsdamer Publikum im HOT nicht lange bitten, sondern steht zur Zugabe auf und feiert zusammen mit der Band. Es ist schwer, ein Ende zu finden, gerade, wenn es am schönsten ist. Und so gibt es immer wieder die Bitte um einen weiteren Song und nicht einmal das „bye-bye“ aus „Junimond“ kann das Publikum überzeugen, zu gehen. Und so steigt Plewka schließlich ins Publikum und begleitet es persönlich aus dem Saal.
Andrea Schneider
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: