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Kultur: Aufwühlend

Volker Schlöndorff und „Das Meer am Morgen“

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Odette und Guy reden und flirten, wie es junge Menschen überall tun. Nur, dass zwischen ihnen ein unüberwindbarer bewachter Lattenzaun steht. Denn es ist Oktober 1941 und der siebzehnjährige Guy, der in der kommunistischen Résistance seinen verhafteten Vater ersetzen will, ist Gefangener in einem Internierungslager in der Bretagne. „Unsere Zeit kommt noch“, verspricht Odette ihrem Guy und meint die Zeit nach der deutschen Besatzung. Doch für Guy wird diese Zeit nicht kommen. Er ist eine von 150 Geiseln, die auf Befehl Hitlers im Oktober 1941 als Vergeltung für die Tötung eines deutschen Offiziers durch die Résistance hingerichtet wird. Voran geht dieser Erschießung eine Debatte unter deutschen Offizieren, wie auf die Aktion der Résistance reagiert werden soll.

Es gab wohl niemanden im Publikum des gut besetzten Filmmuseumskinos, den Volker Schlöndorffs eindringlich-meisterhaft inszeniertes Widerstandsdrama „Das Meer am Morgen“ (2011), das am Dienstagabend in der Reihe „Aktuelles Potsdamer Filmgespräch“ zu sehen war, nicht emotional aufgewühlt hätte. Der Film erzählt eine authentische Geschichte. Das Drehbuch basiert auf Dokumenten und Briefen, einem kürzlich entdeckten Bericht Ernst Jüngers und einer Erzählung Heinrich Bölls.

Wie es zu diesem Film in dieser Zeit gekommen sei, in der es schon so viele Filme über die Zeit des Nationalsozialismus gibt, wollte Moderatorin Jeannette Eggert von Volker Schlöndorff wissen. „Ich habe mit Überraschung entdeckt, dass es tatsächlich, jedenfalls von unserer westdeutschen Seite her, in meiner Generation keinen Film gegeben hat, der die deutsche Besatzung in Frankreich zeigt. Die hat ja immerhin vier Jahre gedauert“, so der Regisseur. Doch es gäbe immer biografische Gründe, einen Film zu machen: Er sei als 16-Jähriger zum Lernen in die Bretagne gegangen und hätte damals vage erfahren, dass in der Nähe des Ortes während der Besatzung eine Geiselerschießung oder ein Massaker passiert sein müsse. Aber erst fünfzig Jahre später sei er in Paris einem Journalisten begegnet, der ihm von seinem Buch über die Ereignisse in Châteaubriant erzählt habe. In diesem Buch entdeckte er die Geschichte der Geiseln und das Schicksal des Guy Moquet. Schnell stieß Schlöndorff bei anschließenden Recherchen auch auf Ernst Jünger, der als Wehrmachtsoffizier zuständig gewesen sei und einen Bericht über die Ereignisse verfasst habe. Mit dem Buch des jungen Widerstandskämpfers, der den deutschen Offizier getötet hatte, sei eine dritte Beleuchtung des gleichen Ereignisses aufgetaucht. Das Drehbuch schrieb Volker Schlöndorff erstmals allein, „die erste Fassung von Hand, wie ich das immer mache.“

Bei der Besetzung des Ernst Jünger dachte Schlöndorff gleich an Ulrich Matthes, der den „schrecklichen Menschen“ zunächst nicht spielen wollte. Mit seiner kühl-distanzierten Darstellung verleiht er der Figur des Dichters eine Aura eisiger Gefühlskälte. Für die Rolle des 17-Jährigen Guy fand der Regisseur den Laien Léo-Paul Salmain. Da er boxte, baute er für ihn auch eine Boxepisode in den Film ein, denn: „Es ist immer besser, die Rolle dem Schauspieler anzupassen als umgekehrt, vor allen Dingen bei Laien.“

Susanne Klappenbach

Susanne Klappenbach

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