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Stürmisch empfangen. Der Dirigent Michael Sanderling.

©  M. Borggreve

Kultur: Aufwühlend und konfliktreich

Romantikkost mit der Kammerakademie Potsdam im Nikolaisaal

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Sind viele wohlbekannte Musikergesichter plötzlich der Kammerakademie Potsdam abhandengekommen? Mitnichten. Des Rätsels Lösung: Sie dürften wegen ihrer gegenwärtigen kräftezehrenden Probenarbeit am sinfonischen Beethoven-Projekt schlichtweg von ihrer Mitwirkung beim 5. Sinfoniekonzert des Nikolaisaals am Samstag freigestellt worden sein. Also ist die Elitetruppe wesentlich erweitert, um Werke von Johannes Brahms und Robert Schumann klangvoluminös wiedergeben zu können. Und auch Chefdirigent Antonello Manacorda hatte sich verständlicherweise eine Auszeit gegönnt und den Taktstock vertrauensvoll in die Hände seines Vorgängers Michael Sanderling gelegt. Der stürmische Auftrittsapplaus für ihn drückt viel von der noch immer vorhandenen Verbundenheit des Publikums mit ihm aus.

Schwere Brocken gilt es zu meistern. Zunächst Schumanns 4. Sinfonie d-Moll op. 120 in der zweiten Fassung (1851) aus des Meisters Hand, deren Klangmassierung durch Verdoppelungen von Streicher- und Bläserstimmen er für „besser und wirkungsvoller“ hielt. Heute wird fast ausschließlich nur sie aufgeführt. Um Klangklasse hervorzubringen, braucht es allerdings einer gewichtigen Instrumentenmasse, um diese „Symphonische Phantasie“, wie der Komponist auf dem Autograf vermerkt hat, entsprechend voluminös schweifen lassen zu können. Auch sollten ihre vier Sätze stets fast ohne Pause ineinander übergehen. Michael Sanderling hält sich genauso daran wie an die Musizieranweisungen. „Ziemlich langsam“ und gewichtig beginnt die Einleitung des ersten Satzes: ein organisches Fließen und unaufhörlicher Spannungsaufbau, der sehr überzeugend seinen Übergang ins geforderte „Lebhaft“ findet. Nun lässt sich vortrefflich darüber streiten, wie es auszulegen sei. Der Dirigent entscheidet sich für die Steigerungsformen forsch-forscher-Fortissimo, lässt beim schneidigen Konfliktwühlen auch gern forcieren, um unbedingt Klangmasse liefern zu können. Spätestens da stellt sich die Frage, ob das Werk unbedingt zum „Beuteschema“, sprich: Repertoire der Kammerakademie gehört. Doch wie auch immer: Sanderling setzt auf scharfe Akzente und rasante Tempi, überspannt alle vier Sätze mit einem Netz von thematischen Beziehungen. Überaus präzise wird musiziert, mit staunenswertem Eifer mit der Dynamik gearbeitet. Allerdings geht es mitunter ziemlich ruppig zu, so als wollte er Asphaltschneisen durch die romantischen, geheimnisumwitterten Klanggefilde schlagen.

Danach wird er wie ein siegreicher Feldherr gefeiert. Und zieht frohen Mutes zu weiteren Taten. Nun gilt es, das Konzert für Violine, Violoncello und Orchester a-Moll op. 102 von Brahms zu bezwingen. Er, der während seiner solocellistischen Karriere oftmals den entsprechenden Part gespielt hat, weiß um die enormen interpretatorischen Anforderungen. Doch mit Wolfgang Emanuel Schmidt hat er einen ausdruckstarken Vertreter eines rhetorisch nervös-gespannten Cellostreichens. Und mit Daishin Kashimoto, 1. Konzertmeister der Berliner Philharmoniker, einen Vertreter des klangschönen singenden Geigenspiels, der mit sanften Saitentönen, aber auch gelegentlichen rabiaten „Widerworten“ einen packenden Dialog zu führen versteht. Schließlich mündet der in die finale Freude über die Beseitigung aller beziehungsreichen Zwistigkeiten – ein prägnantes Abbild der persönlichen Differenzen zwischen dem Komponisten und seinem Geigerfreund Joseph Joachim. Der Jubel will kein Ende nehmen. Peter Buske

Peter Buske

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