Kultur: Augenflimmern und Herzrasen Quirliges Techno-Varieté von Caravan Palace
Langsam fährt das Licht zurück und erwartungsvoller Beifall ertönt im Saal. Mit beängstigenden Ufoklängen und elektronischen Grüßen aus einer anderen Dimension wandert das Intro durch die Gehörgänge der Zuschauer.
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Langsam fährt das Licht zurück und erwartungsvoller Beifall ertönt im Saal. Mit beängstigenden Ufoklängen und elektronischen Grüßen aus einer anderen Dimension wandert das Intro durch die Gehörgänge der Zuschauer. Das außerirdische Vorgeplänkel wird der einzig ruhige Moment an diesem Abend bleiben. Hämmernde Technobeats erhalten Einzug und fünf, im Zazou-Stil der 30er Jahre gekleidete, Franzosen stürmen auf die Bühne. Aus den Boxen des Nikolaisaals marschiert fortan ein stampfender Vierviertelrhythmus und dazu servieren die Musiker von Caravan Palace ihre eigens kreierte musikalische Innovation: Den Elektro- Swing. Eine Mélange aus dem Jazz und Swing der 30er Jahre und den elektronischen Errungenschaften der Moderne.
Welches der Stilmittel bei dieser Mixtur die Baskenmütze auf hat, wird schnell klar. Man sieht zwar Gitarrist Arnaud de Bosredon oder Bassist Charles Delaporte gekonnt an ihren Instrumenten ackern – man hört sie nur nicht. Die viel zu dominanten Rhythmussequenzen des Djs saugen auch noch das letzte Leben aus ihren bemitleidenswerten Instrumenten. So wird aus „Elektro-Swing“ „Elektro- Zwing“! Einzig die messerscharfe Violine und die quietschvergnügte Klarinette schaffen es, sich von dieser elektronischen Klangsuppe abzusetzen.
Ähnlich schwer hat es Sängerin Sonia Fernandez Velasco. Ihre stimmliche Vielfalt, die vom zungenbrecherischen Scat- Gesang bis zu divenhaften Einlagen im Stile einer Shirley Bassey reicht, bringt zu Beginn des Konzerts einige Würze in die Kompositionen. Im weiteren Verlauf setzt sie jedoch immer mehr auf visuelle Reize. Genau dort liegt auch die Faszination der Band. Caravan Palace haben eine Energie, die fast schon debil wirkt. Wie Aufziehroboter hüpfen sie über die Bühne und inszenieren, gepaart mit großzügig eingesetzten Lichteffekten, eine audiovisuelle Reizüberflutung.
Die Show erinnert an einen überladenen Actionfilm. Das Auge weiß nicht wo es verweilen darf, denn alles ist in ständiger Bewegung. Die Spannungskurve zeigt stetig nach oben und bald flimmern die Augen und das Herz rast. Die Atmosphäre steckt an. Im Nikolaisaal herrscht schon bald eine Betriebsamkeit, wie auf einem indischen Großstadtbahnhof. Während es die jüngere Fraktion kaum noch in den Sitzen hält und sich in den Seitengängen sowie vor der Bühne wabernde Tanztrauben bilden, verlassen einige Zuschauer verblüfft das Geschehen. Caravan Palace scheinen das gewohnt zu sein und bleiben ihrer Linie treu. Die Polarisation ist ausdrücklich erwünscht. Für ihr Techno-Varieté ernten die Franzosen am Ende des Konzerts tosenden Beifall. Phillip Kühl
Phillip Kühl
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