Kultur: Aus, aus, das Spiel ist auus! Frank Lüdecke überzeugte bei Kabarettwoche
Wahrscheinlich ist die Bühne schwerer zu machen als „Zebrella“ oder „Scheibenwischer“ im kabarettistischen Fernsehen. Vielleicht war das neue Programm des einst bekennenden Westberliners Frank Lüdecke, jetzt in Kleinmachnow zu Hause, auch auf „Biss in progress“ angelegt, man weiß es ja nicht.
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Wahrscheinlich ist die Bühne schwerer zu machen als „Zebrella“ oder „Scheibenwischer“ im kabarettistischen Fernsehen. Vielleicht war das neue Programm des einst bekennenden Westberliners Frank Lüdecke, jetzt in Kleinmachnow zu Hause, auch auf „Biss in progress“ angelegt, man weiß es ja nicht. Jedenfalls hatte es die bekannte Spitzzunge mit dem bübisch-sympathischen Lächeln am Dienstag anfangs nicht leicht, den leider nicht ganz ausverkauften Saal des „Obelisk“ von ihrem deutschen Blick auf das Thema „Elite für alle“ zu überzeugen. Zum glücklichen Ende dann trieb ihm, dem Anschein nach, dankbarster Lang-Applaus sogar Dankesröte ins Gesicht, und das während der „Kabarettwoche 2004“ – allen Respekt für diese neunzig Minuten. Der Titel des gerade erst dreimal gezeigten Solo-Programms lockt durch ein dialektisches Paradoxon: Entweder Elite, oder Masse! Masse ist immer da, Eliten sind rar, warum? Es gehe schon in der Schule los, stichelte Lüdecke, Streber sind damals wie heute unbeliebt, aber nicht weil sie gut sind, sondern weil sie nicht abschreiben lassen und damit die Sozialisation des Klassenverbandes herb untergrüben, mit verheerenden Folgen für die Gesellschaft. Elite-Unis in Übersee zahlreich, hier die dürre Gesamtschule als Bildungsnorm, darin der deutsche Streber nur eine „arme Sau“ sei. Andererseits ruhten sich Inder besser in Kalkutta aus, anstatt Entwicklungshilfe in Zella-Mehlis zu leisten. Beim Studium genauso: Die vielen Alten, sichere Eckrentner, nähmen der Jugend doch nur die Studienplätze weg, sollten sie nicht gerade aus Langeweile für 4,99 Euro von Berlin nach Bukarest fliegen, wie Lüdeckes Vater angeblich, ein gern begrüßter Gast im „Obelisk“. Solche Fehlentwicklungen brächten Deutschland letztlich den Ruin. Anfang der Fünfziger sei das noch anders gewesen, als „Das Wunder von Bern“ geschah, heute sei das Mittelmaß „Elite“, Stolpe und Eichel namentlich; Günter Netzer in Sachen Kultur, Beckenbauer, Kübelböck oder die Schiffer („mehr dran als drin“) als TV-vermarktete Vorbilder, was soll da werden? Die Löhne sind zu hoch, die Steuereinnahmen trotz Spitzensätze nur niedrig, alles Ausland von Norwegen bis Kenia ziehe an uns vorbei. Nicht ganz, meinte der stets nobel beanzugte Kabarettist: Wenigstens im Umweltschutz, bei Obi-Märkten und Klärwerken „liegen wir ganz vorn“, ein Trost, wenn selbst die Kirchen sich von McKinsey beraten lassen („zu viele Filialen“) und keiner in der Lage sei, drei deutsche Gegenwarts-Autoren zu benennen. Was die Jugend betrifft, die er im Publikum richtig doll anfuhr, so werde sie im Lexikon nachschlagen müssen, um zu erfahren, was „Rente“ auch nur bedeutet. Trost kommt von England: Dort hält (kein Witz) jeder zehnte Befragte Hitler für eine Erfindung des deutschen Fernsehens. Die Germanen scheinen doch nicht von aller Welt verlassen zu sein. Das hatte Pfiff, intellektuelles Niveau, das war schon gut, nach einem handzahmen Anfang. Lieder zur Gitarre gab es auch diesmal dazu, mancherlei aus dem Off: das dreifache „Toor“ beim Wunder von Bern zum Beispiel – nach dem Part, wo er seine Deutschen aussterben lässt! Ein Meister der gesprochenen wie der zurückgehaltenen Pointe, des nie fehlenden Untertextes, klug und sympathisch, der Mann. In wohlgefügter Dramaturgie schloss sich der Kreis zum Finale, Rückkehr zum Streber, zum „Kulturbotschafter Netzer“, der zu verdienen verstehe: „Aus, aus, das Spiel ist auus!“ Keine Deutschen mehr – null Probleme. Gerold Paul
Gerold Paul
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