DIE GESCHICHTE EINER BAND: Aus der Erstarrung wieder auf die Bühne
Heute spielen Silly und Anna Loos im Nikolaisaal, das Konzert ist seit Wochen ausverkauft: Ein Gespräch mit Anna Loos, Uwe Hassbecker und Ritchie Barton über Neuanfang, das erste Mal ohne Tamara Danz und ein neues Album
Stand:
Nach dem Tod von Tamara Danz im Juli 1996, die mit ihrer Stimme, ihrem Gesicht, so stark das Bild der Band geprägt hatte, dachten viele, das sei das Ende von Silly. Vor drei Jahren seid Ihr mit Silly wieder auf die Bühne zurückgekehrt. Warum?
Ritchie Barton: In den ersten zwei, drei Jahren nach Tamaras Tod war es gefühlsmäßig gar nicht möglich, etwas zu machen. Danach kam dann so langsam das Gefühl in uns hoch, wir sollten wieder zusammen spielen. Und dann haben wir uns daran erinnert, dass sich Tamara immer gewünscht hatte, dass wir weitermachen.
Uwe Hassbecker: Wir haben ziemlich lange pausiert, dabei Musik in anderen Bereichen gemacht und im Studio gearbeitet. Aber es ist ein ganz besonderes Gefühl, wieder seine eigenen Sachen zu spielen. Das ist heute nicht weniger schön als damals. Im Gegenteil. Nach so einer langen Pause wird einem erst einmal bewusst, was für eine Verantwortung man für sich selbst und für die Band mit sich rumträgt. Dass man das wie ein rohes Ei behandeln muss und nicht einfach wegwerfen kann.
Wie verlief der Neuanfang?
Hassbecker: Zuerst haben wir uns zusammengesetzt und überlegt, wie es gehen soll. Wir haben uns umgehört, wer welche Sänger kennt und eine Liste gemacht. Übrigens, Anna Loos stand damals auch auf der Liste.
Anna Loos: Aber mitgemacht habe ich da noch nicht. Ich spielte damals fast jeden Tag Theater.
Gab es in dieser Zeit Momente, in denen Ihr der Meinung ward: Nein, ohne Tamara Danz geht das nicht?
Hassbecker: Die Spannung war schon sehr groß. Wir mussten manche Lieder auf die Gastsänger zuschneidern. Es gab dann einige Proben, ganz sparsam mit Klavier und Akustikgitarre. Da haben wir schon gemerkt, was geht und was nicht. Und schließlich wussten wir auch nicht, ob das Publikum das so annehmen würde.
Wann habt Ihr gemerkt, es geht auch ohne Tamara Danz?
Barton: Es gab ein Schlüsselerlebnis im Dezember 2004, da feierte das Plattenlabel Buschfunk 15-jähriges Jubiläum im Berliner Theater des Westens. Viele Gäste, vier Stunden Programm. Wir wollten da auch auftreten, aber nicht Uwe, Jäcki und ich, als Silly mit Instrumentalmusik. Wir haben dann mit Anja Krabe und IC Falkenberg zwei Sänger mit auf die Bühne genommen. Wir haben nur drei Lieder gespielt, aber die Aufregung war bei uns so groß, wie wir es lange nicht mehr erlebt hatten. Schließlich standen wir nach zehn Jahren das erste Mal wieder zusammen auf der Bühne. Das Publikum war begeistert. Wir sind dann runter von der Bühne, direkt in die Garderobe, habe uns angeschaut und gesagt, so können wir das machen. Dieser Auftritt hat uns den Mut gegeben, Silly wieder aus der Erstarrung auf die Bühne zu bringen.
Und wie kamen die Schauspielerin und Sängerin Anna Loos und Silly zusammen?
Loos: Zum ersten Mal nach einer Lesung in der Berliner Kulturbrauerei im Sommer 2005.
Hassbecker: Wir saßen in einem Café gegenüber der Kulturbrauerei. Nach der Lesung kam Anna mit ein paar Leuten an unserem Tisch vorbei und unser Manager Jörg meinte, das ist sie.
Barton: Aber wir kannten uns noch nicht.
Hassbecker: Jörg hat sich dann für den Angriff von vorn entschieden, ist an den Tisch von Anna gegangen, hat sich vorgestellt und gesagt: Draußen sitzt die Kapelle Silly und die wollen ganz gern mit Dir was machen.
Und wie hat Anna Loos reagiert?
Loos: Ich darf das ja nicht immer sagen, aber ich dachte, der spinnt. Dann kamen Jörg und Ritchie in die letzte Vorstellung des Musical „Cabaret“, in dem ich damals sang. Da wusste ich, dass sie es ernst meinen. Wir haben uns dann für eine Probe verabredet.
Und zur Vorbereitung für diese erste Probe hast Du die Platten von Silly noch einmal gehört?
Loos: Nein, ich habe mich einfach mit den Jungs getroffen.
Barton: Auf uns hatte das aber so gewirkt, als hättest Du Dich noch mal mit den Texten beschäftigt.
Loos: Gar nicht. Ich war früher echter Silly-Fan. Als ich Silly zum ersten Mal gehört habe, war ich 12 Jahre alt. Und mein erstes Konzert habe ich mit 14 erlebt. Ich habe meine Lieblingslieder damals bis zu fünf Mal hintereinander auf eine Kassette aufgenommen, damit ich nicht immer zurückspulen musste. Dadurch waren die Texte noch präsent.
Warum Silly?
Loos: Ich finde das Wahnsinnige an den Liedern, dass sie für mich noch heute funktionieren. Die Texte sind einfach zeitlos. Wenn man von einem Song behaupten kann, dass er nach so langer Zeit immer noch funktioniert, zeigt sich schon unglaublich großes Können. Ich glaube, es gibt niemanden auf der Welt, der Musik macht und sagt, so etwas möchte ich nicht machen. Das Zeitlose in einem Lied, das ist es doch, was man immer sucht. In der Musik von Silly habe ich jetzt meine musikalische Heimat gefunden, die ich immer suchte. Bis zu dem Moment, als ich zu den Jungs in den Proberaum kam und gesungen habe. Da habe ich gemerkt, das ist total mein Ding.
Gab es Berührungsängste?
Loos: Ich dachte auf jeden Fall, Lieder von Tamara Danz neu singen, mit einer anderen Stimme, das ist schon schwierig. Und ich kann das schon gar nicht. Das schien mir einfach eine Nummer zu groß. Und als wir uns dann zur ersten Probe trafen, hat die Lust, es doch zu machen, die Angst total besiegt.
Ga es am Anfang auch Angst vor der Reaktion der alten Fans?
Barton: Ich weiß nicht, ob Angst das richtige Wort ist. Also, da herrschte eine Superspannung. Wir haben ein Jahr lang unglaubliche Energie in die Vorbereitung gesteckt.
Loos: Mich haben die Leute ganz toll aufgenommen. Ich hab auch ganz viel Lob bekommen.
Warum eine ElektroAkustik-Tour von Silly und Anna Loos?
Barton: Eigentlich ist die Idee dazu schon älter. Wir hatten früher oft in kleiner Besetzung geprobt und uns gesagt, daraus müssen wir mal ein Programm machen. Aber zuerst kam 2005 die „Silly & Gäste“-Tour. Als wir das durch hatten, merkten wir, mit was für einem Wahnsinnsaufwand das auf die Bühne gebracht werden musste. Das kostet auch mehr Geld und schlägt sich letztendlich in den Preisen für die Eintrittskarten nieder. Da haben wir uns gesagt, jetzt machen wir es mal ne Nummer kleiner.
Hassbecker: Wir wollten auch mal dort spielen, wo eine etwas intimere Atmosphäre herrscht. Es ist eine andere Möglichkeit, uns musikalisch zu präsentieren. Ich glaube, dass das für viele auch interessanter ist, als wenn wir die große Rocknummer bringen.
Wie wirkt sich das auf die Musik aus?
Barton: Die Arrangements sind zum Teil extrem verändert.
Hassbecker: Wir haben die Musik sehr auf die Songs reduziert, kaum Spielereien, akustische Instrumente, ab und zu elektrische Gitarren. Und erst da zeigt sich, ob ein Lied überhaupt taugt.
Was kommt nach der Elektroakustiktour?
Hassbecker: Geplant ist, Anfang 2008 eine neue Platte herauszubringen. Wir hoffen, dass wir das bis dahin schaffen.
Wer wird die Texte für die neuen Lieder schreiben?
Barton: Wir hoffen da auch auf Anna.
Loos: Es gibt ja diese ganzen Lieder von Silly mit ihren Texten, von verschiedenen Leuten geschrieben. Mir persönlich gefallen die von Tamara am besten. Und da sitze ich manchmal zu Hause und da fällt mir ein guter Satz ein und ich sage mir: Los Anna, das kannst Du auch. Aber so ein Lied wie „Über ihr taute das Eis“, das fällt einem doch nicht ein. Oder „Wo bist Du“, das schreibt man nicht einfach mal so. Ich werde es aber auf jeden Fall versuchen, denn ich verstehe das als Herausforderung. Ich trete gerne an und habe auch eine Menge zu sagen.
Das Gespräch führte Dirk Becker.
Die Band Silly wurde im Jahr 1977 gegründet. Damals noch unter dem Namen „Familie Silly“, weil die Kulturbehörde der DDR dem Anglizismus silly (albern, einfältig) die Zustimmung verweigerte. Das Debütalbum „Tanzt keiner Boogie?“ erschien 1981. Im selben Jahr gewannen Silly mit dem Grand Prix der Bratislava Lyra einen der bedeutendsten Musikpreis der sozialistischen Länder. Zwei Jahre später erschien das Album „Mont Klamott“ mit dem Lied „Die wilde Mathilde“, das zu einer Hymne der Band wurde.
In den folgenden Jahren entwickelte sich Silly zu einer der erfolgreichsten Bands in der DDR. In Zusammenarbeit mit dem Texter Werner Karma entstanden auf den folgenden Alben „Bataillon D“Amour“ (1986) und „Februar“ (1989) viele Lieder mit gesellschaftskritischen Untertönen, die immer wieder zu Auseinandersetzungen mit der Kulturbehörde führten.
Nach der Wende im Jahr 1989 konzentrierte sich Tamara Danz verstärkt selbst darauf, die Texte zu schreiben. Dabei greift sie auf die Hilfe des Liedermachers Gerhard Gundermann zurück. Während der Produktion zum Album „Paradies“ wird bei Tamara Danz Krebs diagnostiziert. Kurz nach Erscheinen des Albums stirbt Tamara Danz am 22. Juli 1996 im Alter von 43 Jahren. Neun Jahre später beschließen Uwe Hassbecker, Richie Barton und Jäcki Reznicek, mit Silly wieder auf die Bühne zurückzukehren. D.B.
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