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Kultur: Aus der Fülle des Lebens
Die handlichen Transportkisten aus Holz im Ausstellungsraum sind nicht beiläufig abgestellt. Auf dezente Weise strukturieren sie im Brandenburgischen Kunstverein die aktuelle Schau mit sieben Serien, die sich aus jeweils acht Bild- und Textcollagen zusammensetzen.
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Die handlichen Transportkisten aus Holz im Ausstellungsraum sind nicht beiläufig abgestellt. Auf dezente Weise strukturieren sie im Brandenburgischen Kunstverein die aktuelle Schau mit sieben Serien, die sich aus jeweils acht Bild- und Textcollagen zusammensetzen. Zwischen 1977 und 2008 hat die französische Künstlerin Joëlle de la Casinière sie geschaffen.
Die ersten „tablotins“, wie die Französin ihre meist im Format 40 mal 50 Zentimeter gehaltenen Collagen nennt, entstanden während einer Reise nach Südamerika. Dorthin war die 1944 in Casablanca geborene Künstlerin aufgebrochen, nachdem sie 1972 ihre hoffnungsvolle Karriere beendet, sämtliche Gemälde verkauft und ihre Existenz in Paris aufgelöst hatte. Die Konsequenz, mit der sie damals ihren Entschluss in die Tat umsetzte, sich den Begehrlichkeiten des Kunstmarktes nicht zu unterwerfen, ließ Joëlle de la Casinière einen abenteuerlichen Weg gehen.
Der Malerei im klassischen Sinne erteilte sie eine klare Absage. An die Stelle der großen Gemälde traten die kleinen Formate, die die Künstlerin auf ihren Reisen schuf. Ausgestattet oft nur mit dem Notwendigsten, war sie für ihre künstlerische Arbeit auf das angewiesen, was ihr unterwegs in die Hände fiel. Aus Zeitungs- und Tapetenschnipseln, Bonbonpapieren und anderen Fundstücken stellte sie ihre meist farbenfrohen Bildcollagen zusammen.
Was diese Arbeiten auf Kartons auf den ersten Blick verbindet, ist deren kleinteilig zusammengefügte Miniaturwelt aus Schriftzügen und Bildinformationen unterschiedlichster Herkunft. Häufig werden sie von der geschwungenen Handschrift der Künstlerin mal in französischer, mal in spanischer Sprache zusammengehalten. Die eigene Schrift als tragendes Gestaltungselement verstärkt die persönliche Note dieser höchst eigenwilligen Bildschöpfungen. Tagebuchartig bilden sich Reiseeindrücke, politische Kommentare und Stimmungsbilder ab. Immer wieder lässt Joëlle de la Casinière in ihre „tablotins“ eigene Poesie einfließen. Man kann diese Bilder als visuelle Kreationen betrachten oder aber sie auf der literarischen Ebene wahrnehmen, kommentierte sie ihre Wort-Bild-Botschaften. In ihnen findet die Fähigkeit der seit Jahren auf einem Boot lebenden Künstlerin, sich vorbehaltlos auf die Unwägbarkeiten des Lebens einzulassen, ihren unmittelbaren, durch und durch authentischen Ausdruck. Selbst angesichts einiger verschlüsselter, auf den ersten Blick sperrig wirkender Kompositionen kann man sich der eigentümlichen Anziehungskraft dieser Bildschöpfungen nicht wirklich entziehen: Innen- und Außenwelten verdichten sich im „tablotin“ zu einem eigenen Mikrokosmos, zur Momentaufnahme und Impression eines tief empfundenen Augenblicks. Der poetische Zauber vieler dieser Bilder resultiert aus dem offensichtlichen sinnlich-intellektuellem Vergnügen der Künstlerin, den Fundstücken im Kontext ihrer Collagen neues Leben und neue Bedeutung einzuhauchen.
Diese spielerische Lust an der Collage als Möglichkeit, ursächlich nicht zusammengehörende Dinge zu neuen Kontexten zusammenzuführen, treibt Joëlle de la Casinière in ihrer filmischen Arbeit noch weiter. Es ist daher ein weiterer Gewinn der Ausstellung, zusätzlich noch mehrere 16 mm-Filme mit einer Gesamtlänge von 70 Minuten zu zeigen. Die sechs ausgewählten, sehr unterschiedlichen filmischen Arbeiten, entstanden als Gemeinschaftswerk mit anderen Künstlern, gehen bis in die siebziger Jahre zurück. Vielfach greifen die Filme die „tablotins“ von Joëlle de la Casinière wie Eigenzitate auf, vor deren Hintergrund die Figuren singend und tanzend agieren. In diesen Momenten verschmelzen gesprochene, gesungene und geschriebene Textpassagen zu einer bunt bewegten Kunstform aus Bild- und Toncollagen. Almut Andreae
Die Ausstellung „Full Colour Graphic Poetry“ im Brandenburgischen Kunstverein, Brandenburger Str. 5 (Luisenforum), ist bis 18. Oktober, dienstags bis sonntags,12-18 Uhr, geöffnet
Almut Andreae
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