zum Hauptinhalt
Mit weichem Bariton. Bruno Ganz.

© ddp

Kultur: Aus einer anderen Epoche Nachtgedanken: Bruno Ganz im Nikolaisaal

Er tritt nicht auf wie ein Star und doch ist er einer. Bruno Ganz, der derzeit wohl berühmteste deutschsprachige Schauspieler, sitzt ganz bescheiden am Rande der Bühne des Nikolaisaales, kaum sichtbar hinter dem Stehpult.

Stand:

Er tritt nicht auf wie ein Star und doch ist er einer. Bruno Ganz, der derzeit wohl berühmteste deutschsprachige Schauspieler, sitzt ganz bescheiden am Rande der Bühne des Nikolaisaales, kaum sichtbar hinter dem Stehpult. Er schaut nicht ins Publikum, sondern zum Orchester. Der erste Auftritt gebührt dem Ensemble L’arte del mondo, das unter der Leitung von Werner Ehrhardt den musikalisch unterlegten Rezitationsabend „Notturni – Nachtgedanken“ mit stürmischen Klängen eröffnet.

Im ausverkauften Nikolaisaal erlebt das hingerissene Publikum ein auserlesenes Programm voller Kontraste (Konzeption: Michael Stegemann). Während die Musik spätbarocke Pracht und frühklassische Empfindsamkeit entfaltet, führen Gedichte und Prosatexte in die Gedankenwelt des Fin-de-siècle. Den Anfang macht ein lyrisches Schwergewicht, das Poem „Nox portentis gravida“ von Hugo von Hoffmannsthal. Obwohl es nicht ganz leicht ist, den vielschichtigen Symbolen und Metaphern zu folgen, die die an „Wundern und Vorzeichen schwangere Nacht“ birgt, schön klingt es allemal.

Wenn Bruno Ganz, der nun klein, im dunklen Anzug, mit Brille, am Pult steht, von windgetragenen Grazien, Erdendingen und Edelsteinen, verwaisten Kindern und „Seelen, die wie Sterne blühten“ spricht, ist es unmöglich, sich der Magie dieser funkelnden Sprache zu entziehen. Denn Bruno Ganz bringt mit seiner sonoren, weichen Baritonstimme, lebenslang im Vortrag geübt, die hermetischen Dichterworte ganz selbstverständlich zum Leuchten.

So geht es auch bei den expressionistischen Versen von Georg Trakl, der ebenso wie Hofmannsthal aus einer längst vergangenen Zeit stammt. „Abendmuse“, „Melancholie am Abend“ und „Träumerei am Abend“ heißen die sprachtrunkenen Gedichte, in denen Trakl wunderbar entrückte Parallelwelten erbaut, wo „rund das Korn saust“, „das harte Leben in den Hütten geduldig schweigt“ und sich „Endymion über trauervolle Wasser“ beugt. Es klingt weder pastoral noch beschwörend, wenn Bruno Ganz solch ferne Dichterwelten, darunter die lohnenden des wenig bekannten Berthold Viertel, mit neuem Leben erfüllt.

Auch die Prosa-Miniaturen von Franz Kafka, Peter Altenberg und Arthur Schnitzler trägt der gebürtige Schweizer ganz gelassen, bedächtig und prononciert vor. Die zwischendurch erklingende Musik verleiht der Lesung eine überzeitliche Aura, gerade weil sie aus einer anderen Epoche stammt. Vergleichsweise maßvoll und übersichtlich näherten sich die Komponisten Michael Haydn, Josef Myslivecek und Wolfgang Amadeus Mozart dem Thema „Nacht“ in ihren Serenaden und Notturni.

Dem nächtlichen Sehnen und Fürchten geben die Sopranistinnen Katja Stuber und Hannah Morrison lieblichen und anmutigen Ausdruck. Selbst die Fanfare der Nacht erklingt mit milden, runden Tönen aus der Barocktrompete von Fruszina Hara, die zudem wie ein weihnachtlicher Trompetenengel aussieht. Das Orchester l’arte del mondo musiziert auf Originalinstrumenten mit forschen Klängen, gern mal gegen den Strich gebürstet, federnd im Rhythmus und funkelnd im Klang. Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })