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Kultur: Ausbrüche wie Wellen

Henrik Ibsens „Die Frau vom Meer“ hatte im T-Werk Premiere

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Henrik Ibsens „Die Frau vom Meer“ hatte im T-Werk Premiere Von Dirk Becker Da steht Ellida, ganz links am hinteren Bühnenrand und schaut hinaus aufs Meer. Hinter ihrem Rücken, auf der Bühne, müht sich das alltägliche Leben. Die Stieftöchter Bolette und Hilde sind ganz aufgekratzt, denn Studienrat Arnholm, der Bolette einst unterrichtete und für den sie noch immer in augenklimpernde Schwärmerei verfällt, hat seinen Besuch angekündigt. Hans Lyngstrand, dieser liebenswürdige Spinner, der gern Künstler wäre, schaut kurz vorbei, Doktor Wangel, Ellidas Ehemann, eilt nach seiner Visite noch einmal schnell in die Praxis. Dieses Leben ist seit Jahren das von Ellida. Doch es bleibt ihr fremd und sie bleibt den anderen fremd. Regisseur Matthias Stier hat für das T-Werk Henrik Ibsens „Die Frau vom Meer“ auf die Bühne gebracht. Am Freitag hatte das Stück Premiere. Ausverkauft. Der Norweger Ibsen (1828-1906) erzählt von Ellida, Tochter eines Leuchtturmwärters, die durch ihre Heirat mit Doktor Wangel in die scheinbar besseren bürgerlichen Verhältnisse „aufsteigt“. Es ist ein stilles Leben zwischen Geborgenheit und Routine, durch das sich Ellida treiben lässt wie durch leichte Strömung. Doch auf dem Meer, dem unberechenbaren, wohnt ihre Sehnsucht. Denn von dort kam vor Jahren ein fremder Mann, dem sie verfiel, der ihr so etwas wie Liebe versprach und dann wieder auf dem Meer verschwand. Das alte Lied also, dass der Mensch nie zufrieden ist, mit dem was er hat, denn er will auch immer das, was er gerade nicht hat. Regisseur Stier macht es dem Zuschauer nicht leicht, seine Figuren verweigern sich einer allzu einfachen Einordnung. Den Arzt Wangel gibt Matthias Scherwenikas als unrasierten, leicht schmierigen Rationalisten, der für alles eine logische Erklärung finden muss, damit seine Illusion von Leben nicht aus der wohlgeordneten Bahn gerät. Dirk Wäger als Studienrat mit kümmerlichen Zopf, den das Alter nicht vor den Wirrnissen und Peinlichkeiten der Verliebtheit schützt. Jenny Deimling und Marie-Luise Lukas als Töchter Bolette und Hilde, als klassisches spätpubertäres, manchmal nur schwer zu ertragendes Zickenduo. Erst spät tritt Alexandra Röhrer als Ellida in dieses Hin und Her der Figuren, Gefühle und Beziehungen. Alexandra Röhrers Ellida versucht krampfhaft sich in das ihr so unpassende Leben zu zwängen. Sie spricht zu hektisch, sie lacht zu laut und Gefühle, die lässt sie nicht zu. Erst als sie erfährt, dass der tot geglaubte Fremde doch noch lebt, zeigt die brüchige Fassade erste Risse. Langsam findet der Zuschauer hinein in die Welt der Familie Wangel. Die Figuren werden greifbar – Marco Wittorf als Hans Lyngstrand und dazu Marie-Luise Lukas als Hilde, allein wegen dieser beiden schon lohnt der Besuch der Inszenierung. Das Beziehungsgeflecht wird durchschaubarer, während Ellidas Zerrissenheit immer deutlicher ihren mühsam gepflegten Schein von Normalität zerbricht. Sie gesteht Wangel ihr mit Angst gemischtes Verlangen nach diesem Fremden, der in ihrer Phantasie für all das steht, was sie vermisst. Und so rutscht auf der schlichten, leicht schrägen Bühne (Katharina Falter) die Handlung unweigerlich in die Katastrophe, als der Fremde auftaucht und Ellida auffordert, mit ihr zu gehen. Bis zur Pause gelingt es Matthias Stier, diesen und die zahlreichen anderen Konflikte ganz fein zu spinnen, dass plötzlich Ausbrüche wie Wellen über den überraschten Zuschauer schlagen. Danach geht alles ganz schnell, scheinen sich die Probleme in bestem Wohlgefallen aufzulösen. Ibsens Text will das so. Doch gerade die Entscheidung Ellidas, als Wangel sie freigibt, und sie dann bei ihm bleibt, wirkt, wie hier gespielt, wenig überzeugend. Und als Sebastian Walch als Fremder dann hölzern feststellt „Ich sehe schon. Hier ist etwas am Werk, das ist stärker als mein Wille“ und in seinem finster-martialischen Kostüm von der Bühne stapft, da wundert man sich nur: Wegen dieses Tunichtgut so ein Theater. Am Ende herzlicher Applaus. Nächste Vorstellungen: 7.-9. 10., 20 Uhr, T-Werk, Schiffbauergasse.

Dirk Becker

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