Kultur: Ausdrucks- variabel und farbenreich Orgelsommer-Konzert
mit Christoph Schoener
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Der lobenswerten Aufforderung an die Organisten, vor ihrem Orgelsommer-Auftritt Werkauswahl und Deutungsabsichten dem Publikum zu erläutern, kamen viele von ihnen in letzter Zeit kaum noch nach. Christoph Schoener, nach elfjähriger Abwesenheit wieder in der Friedenskirche und nun an ihrem neuen Klangkleinod zu Gange, entsprach diesem Appell. Er, der als Kirchenmusikdirektor an der Hamburger Hauptkirche St. Michaelis tätig ist, weiß um die Wirkung solcher Worte fürs Verstehen von Werken und ihrer Schöpfer. Vor allem jener, die vielen nicht immer geläufig sind. Außerdem galt es, Geburts- bzw. Gedenktage „abzuarbeiten“.
Zum 75. von Jan Janca (geb. 1933) erklingt aus dessen barocknaher, im vergangenen Jahr komponierter „Suite romantique“ die Introduction und Toccata. In einer bedächtig schreitenden, Ton für Ton aufsteigenden (Pedal-)Linie sind einige harmonische Stolpersteine versteckt. Das verschafft der in traditioneller Manier geschriebenen, allmählich anschwellenden Einleitung erhöhte Aufmerksamkeit. Daraus löst sich eine verspielte Toccata, deren Melodiestimme im Diskant ertönt. Sie gewinnt langsam an Kraft und Kontur, strahlt in prächtigen Prinzipalstimmen ziemlich dissonanzengebündelt, schließlich sogar martialisch. Die Woehl-Orgel fühlt sich wohl dabei.
Auch bei Johann Seb. Bachs „Sechs Chorälen von verschiedener Art“, den so genannten Schübler-Chorälen BWV 645-650, zeigt sich die „Königin“ dank des kammermusikalisch feinsinnigen und klangfarblich reizvollen Registrierens ganz von ihrer charmanten Seite. Für jedes Stück findet Schoener den passenden Ausdruck und dazugehörige Soloregister. Lieblich, ausdrucksschlicht, mit den Stimmen der „Vox humana“ und „Trompete“ ausgestattet ertönt „Wachet auf, ruft und die Stimme“; flötenlieblich „Wo soll ich fliehen hin“; gedecktfarbig und getragen „Wer nur den lieben Gott lässt walten“; pedalgrundiert, mit dem Cantus firmus im Sopran „Meine Seele erhebet den Herrn“ als schönem Kontrast; schier atemlos flehend „Ach bleib bei uns“ und schließlich, mit Quintade und vierfüßiger Octave, sehr lebendig „Kommst du nun, Jesu“. Zupackend, im breiten Melodienstrom dahinfließenden und mit der Kraft der Prinzipalstimmen spielt Christoph Schoener Fantasie und Fuge g-Moll BWV 542, jede klangliche Kompaktheit meidend. Sein durchdachtes und abwechslungsreiches Spiel lässt Strukturen und die spiralenförmig sich schraubenden Tonartveränderungen erkennen. Rasch und eindringlich folgt die Fuge.
Als „eines der genialsten Werke zwischen Bach und Reger“ betrachtet der Organist die freigestaltete c-Moll-Sonate „Der 94. Psalm“ Julius Reubkes (1834-1858), frühverstorbene Hoffnung der neudeutschen Schule um Franz Liszt, von dessen sinfonischen Dichtungen er sich beeinflussen ließ. Das orchestral angelegte Orgelwerk hüllt Schoener in ein farbschillerndes Klanggewand, ganz nach textlichem Erfordernis. Dräuend, mit viel Imponiergehabe und Pedaldrohen, herrisch und rachefordernd erhebt sich das „Grave.Larghetto“. Mit geradezu theatralischem Spürsinn braust das „Allegro con fuoco“ Racheengel gleich durch den Raum. Zungenstimmenreich und leise klagt das Adagio von „viel Bekümmernis“, um schließlich im „Allegro“ strahlend und erneut mit viel Imponiergehabe im Plenum zu enden. „Zur Beruhigung“, so Schoener nach anhaltendem Beifall, habe er noch „eine kurze Skizze“ von Schumann parat – sozusagen als humoristischen Ausklang. Peter Buske
Peter Buske
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