Kultur: Ausdruckslose Gesichter, sprechende Körper
Russisches Staatsballett aus Siktivkar tanzte „Schwanensee“ im Nikolaisaal
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Wenn sechzehn weiße Schwäne in geometrischer Formation und exakten Bewegungen unisono auf Spitze schweben und die Tutus schwingen lassen – dann ist „Schwanensee“-Zeit im Nikolaisaal. Der Klassiker der russischen Ballettkunst sorgte am Donnerstag für ein sehr gut besuchtes Haus in der Wilhelm-Staab-Straße. Diesmal ist es das Russische Staatstheater für Oper und Ballett aus Siktivkar, Hauptstadt der Republik Komi, das Pjotr Tschaikowskis unverwüstliches Tanzmärchen in einer traditionellen Aufführung nach der legendären Choreografie von Marius Petipa und Lew Iwanow voller federleichter Eleganz darbietet.
Und erneut ist es ein dem Genre eng verbundener Dresdner Veranstalter, der sich über die Jahre auf Gastspiele von Ensembles aus den regionalen Ballettzentren der einstigen Sowjetunion spezialisiert hat. So konnten die Potsdamer bereits Compagnien aus Krasnojarsk, Minsk, Perm, Tscheljabinsk und Ufa erleben und sich an der Bewahrung klassisch-akademischer Tanzkunst mit ihren großen Gesten und Gefühlen erfreuen.
Daran herrscht auch bei der hervorragend trainierten Komi-Truppe kein Mangel. Nach dramatisch-dräuendem musikalischen Vorspiel, das über erstaunlich klanggute, aber mitunter zu laut abstrahlende Lautsprecher eingespielt wird, präsentiert sich die Bühne als eine leere Tanzfläche.
Sie wird in Diagonalen, Kreisen und Blöcken nach allen Regeln der Geometrie und der Kunst gut ausgenutzt. Ein Hintergrundprospekt mit herbstlich bunt gefärbtem Laubgeäst deutet an, dass im Schlossgarten nunmehr ein Fest zu Prinz Siegfrieds Geburtstag gefeiert werden wird. Fröhlich geht es dabei zu, und im Rahmen des Tanzmöglichen auch ausgelassen. Der Hofnarr (Andrej Potapow) zeigt sich seinen animierenden Aufgaben mit viel Noblesse und körperlicher Agilität gewachsen. Die Damen der Gesellschaft sind in pastellfarbene, plissierte Tanzröcke gekleidet, ihre männlichen Begleiter in dezenten Höflingsdress. Beim Ball im prächtigen Schloss darf man an ihnen allen die opulentesten und farbenbuntesten Kostüme bestaunen. Anmut auf ganzer Linie.
Die Damen stehen sicher auf Spitze, schnellen wie ein Pfeil über kurze Distanzen, lassen sich bei Pirouetten und Waagen von den Herren sicher halten. Für die Szenen am mondbeschienenen See tragen die Tänzerinnen Tutus, führen im 16er-Kollektiv ihre konventionelle Arm- und Beinarbeit sehr exakt aus – ein ästhetischer Genuss. Nicht weniger der berühmte Tanz der kleinen Schwäne, der wie eine gut geölte Maschine abläuft.
Ganz in Weiß beherrscht Prinz Siegfried alias Roman Mironow die Szene: rank und schlank, voller majestätischer Ausstrahlung. Sicher sind seine Drehungen und hohen raumgreifenden Sprünge, die anstrengungslos wirkenden Hebungen seiner Partnerin Elena Schewzowa in der Doppelrolle der Odette (weißer Schwan) und Odile (schwarzer Schwan).
Ihr Gesicht bleibt ausdruckslos, doch ihre Gesten, ihre schlangengleichen Armbewegungen und jede ihrer Körperhaltungen erzählen zugleich so viel vom liebessehnenden Seelenleben der vom bösen Zauberer Rotbart (sehr viril und ausdrucksstark: Wladimir Li) in einen Schwan Verwandelten.
Als intrigante, rachsüchtige Rotbart-Tochter Odile beherrscht sie die dafür nötige Körpersprache nicht weniger überzeugend. Fast plastisch wird ihre verführungsreiche Bösartigkeit. Nicht weniger ausdrucksstark wirkt der Zweikampf zwischen Siegfried und dem raubvogelartigen Rotbart. Dessen Magie aber endet schließlich mit seinem Tod – und der Liebe des Prinzen zu seiner Odette steht nichts mehr im Wege. Dem anhaltenden Beifall auch nicht.
Ballettfreunde aufgemerkt: Am 29. Dezember, 15 Uhr, kehrt die Komi-Compagnie mit einem anderen Tschaikowski-Ballett in den Nikolaisaal zurück, dem „Nussknacker“. Im nächsten Jahr werden beide Stücke von Tänzern des Theaters aus Astrachan präsentiert.
Peter Buske
Peter Buske
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