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Kultur: Ausdrucksschlicht

Plädoyer für Fanny Hensel im Marmorpalais

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Plädoyer für Fanny Hensel im Marmorpalais Die Frau könne Muse sein, Genius nicht. Denn: Genie ist männlich. So heißt es im Hause Mendelssohn. Tochter Fanny - getaufte Bartholdy, verheiratete Hensel - schickt sich notgedrungen drein, nimmt die Zurückweisungen an. Dabei ist sie kompositorisch außerordentlich begabt, was Bruder Felix neidlos anerkennt. Lebenslang ist sie ihm sein musikalisches Gewissen. Beide erhalten in jungen Jahren Unterricht beim Singakademie-Direktor Carl Friedrich Zelter. Felix erringt sich mit seinen Werken schnellen Ruhm, Fanny darf im stillen Kämmerlein komponieren und ihre Werke bei den halböffentlichen Sonntagsmusiken im Hause Mendelssohn aufführen. Später übernimmt sie deren Leitung, dirigiert, gründet einen Chor, spielt Klavier. Verlegen darf sie ihre Werke nach einem Verdikt des Bruders nicht. Erst spät erhält sie von ihm, der einige von Fannys Liedern als eigene ausgibt und veröffentlicht, den handwerkerzünftigen „Freispruch“. Um der zu Unrecht Vergessenen gerechte Würdigung widerfahren zu lassen, warten die Musikfestspiele im Marmorpalais mit einer klingenden Biografie auf: „Für Fanny Hensel“. Sie und ihr musikalisches Umfeld kommen dabei in geglücktem Mix zu Wort. Selbiges führt Elke Mascha Blankenburg, Publizistin und Dirigentin. Leider mehr referierend als moderierend. Immerhin erfährt man von Fannys Vita, vom Familienclan und gesellschaftlichen Zeitbezügen viel Informatives. Allerdings stört das unkonzentrierte Ablesen des Textes die Einstimmung der Seele auf den Gegenstand zuweilen gar sehr. Ohne „Versprecher“ und rhetorische Stolpereien absolviert dagegen die Hammerklavieristin Christine Schornsheim ihren Part. Das Instrument, eine Neupert-Kopie, ist für die intimen Piecen wie geschaffen. Klanghelle und perlende Geläufigkeit gemahnen an das Cembalo, drei Pedale ermöglichen dynamisches Differenzieren. Frau Schornsheim versteht es exzellent, das Instrument und die Stücke ins rechte Licht zu rücken. Aus Fannys klangapartem Zyklus „Das Jahr“ spielt sie vier Monate: den frühlingsstürmenden Mai, den sommerstrahlenden Juni, den gewitterträchtigen Juli, den unruhevoll-erwartungsfrohen September. Empfindsamer Seele entspringt auch ein liedhaftes e-Moll-Prelude, das filigran-feinsinnige Ausdeutung erfährt. Während einer Italienreise gewinnt sich Fanny mannigfaltige Anregungen. Virtuos tanzspringt ein Saltarello romano vorüber, entsagungsvoll und dennoch heiter gerät der „Abschied von Rom“, ein Allegro vivace in a-Moll. In der Ewigen Stadt erfährt sie Anerkennung, wird sie nach eigenen Worten regelrecht „angeraspelt“. Hier auch trifft das Ehepaar Hensel Charles Gounod, dem sie Johann Sebastian Bach nahe bringt. Er revanchiert sich mit seinen „Ave Maria“-Meditationen. Erfrischend und erfreulich entkitscht erklingen sie. Ausdrucksschlicht spielt Christine Schornsheim zuvor Bachs Präludium und Fuge b-Moll BWV 867 und Felix Mendelssohn Bartholdys Präludium und Fuge f-Moll op. 35 Nr. 5 in reizvoller Gegenüberstellung. Clara Schumanns As-Dur-Romanze erklingt weich getönt, schattierungsreich und pedalgedämpft. Dem Plädoyer für eine Vergessene fällt anhaltender, herzlicher Beifall zu. Peter Buske

Peter Buske

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