Kultur: Ausdruckstief und klangleicht Abschluss der Bachtage mit „Matthäus-Passion“
Als nach der kammermusikalisch inspirierten Aufführung von Johan Sebastian Bachs „Matthäus-Passion“ der Beifall aufbranden will, unterbindet Dirigent Björn O. Wiede diese spontane Publikumsreaktion.
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Als nach der kammermusikalisch inspirierten Aufführung von Johan Sebastian Bachs „Matthäus-Passion“ der Beifall aufbranden will, unterbindet Dirigent Björn O. Wiede diese spontane Publikumsreaktion. Mit gebieterischer Geste fordert er die stille Inbrunst ein. Doch das Publikum in der gut besuchten Friedenskirche wohnt beileibe keinem Gottesdienst bei, auch ist“s nicht Karfreitag, Jesu Sterbetag. Vielmehr handelt es sich um das ganz profane Abschlusskonzert der diesjährigen Bachtage Potsdam, bei dem die Bachsche Vertonung des Passionsgeschehens nach Matthäus erklingt.
Dieses „heiligste Kunstwerk der Deutschen“, so Arnold Schering, hatte Wiede bereits 2004 – damals zur Eröffnung der Bachtage – in der Friedrichskirche aufgeführt. Und zwar mit der Bitte um gebührliche innere Versenkung, an die sich schon damals keiner hielt. Nun gibt ein Wiedesches Kopfsenken den Startschuss für“s eifrige Händerühren. Es danksagt einer weitgehend kontemplativen Lesart, die Bachs doppelchörig angelegte Musik dennoch frisch, klangleicht und lebendig, strukturerhellend, mitunter operntheatralisch (wenn „Blitze in Wolken“ hin und her zucken), ja geradezu spannend ausbreitet. Wieder sitzen sich zwei Instrumentalgruppen gegenüber, nun „Exxential Bach“ genannt und auf alten Instrumenten der historischen Aufführungspraxis huldigend. Sie firmieren als „Coro I“ und „Coro II“ und sind um zwei mal vier Sänger ergänzt. Als Doppelquartett übernehmen sie die Aufgaben des Chores, der zudem noch die Choräle singt. Einst fiel diese Aufgabe den Nikolaichoristen zu, was den Vorteil stimmlicher und optischer Trennung von den anderen Mitwirkenden hatte.
Nunmehr müssen die solistischen Kehlen Arien, Volkes Stimme und theologische Allgemeinbetrachtungen vortragen. Ein konzentrationsverlangendes Verfahren, bei dem sich, wie im Falle von Michael Schaffrath, der mit leicht ansprechender, klarer und überzeugend phrasierender Tenorstimme den Evangelistenpart bewältigt, gegen Ende unüberhörbar einige Ermüdungserscheinungen einstellen. Auch diesmal lässt sich fragen, nach welchen Gesichtspunkten den Solisten (für jede Stimmgruppe stehen zwei Vertreter zur Verfügung) die Arien zugeteilt wurden. Erfreulich, dass sie sich nicht wie einst als Individualisten in den Vordergrund singen, sondern als DienerInnen am Passionsgeschehen begreifen.
Das fängt im klagenden Eingangschor „Kommt ihr Töchter“ an, bei dem das intensiv gestaltete Vokale mit dem Orchesterpart homogen verschmilzt, und endet im nüchtern vorgetragenen, sozusagen tränenlosen Finalrapport „Wir setzen uns mit Tränen nieder“. Weitgehend objektivierender Gesang bestimmt ebenfalls den Arienvortrag, dessen Stimmensplitting nicht immer einleuchtet. Wieso wird die Sopranarie „Blute nur“ von Doerthe Maria Sandmann gesungen und nicht von Barbara Christina Steude, die dafür „Ich will dir meine Herze schenken“ leicht, heiter und fast fröhlich anstimmt. Instrumental geführt sind auch die Stimmen der beiden Altusse, wobei dem Briten Alex Potter die Hauptlast zufällt, die er kultiviert, zartstimmig und mit verinnerlichter Ausdrucksstärke schultert. Dafür gibt es mit Matthias Lutze nur einen, sehr menschlich gezeichneten Jesus, der allerdings zum Schluss in einer Bassarie (Mache dich, mein Herze“) seine eigene Grablegung besingt. Warum fiel diese Aufgabe nicht Stimmkollegen Sebastian Bluth zu, der ansonsten für die Arien und Pilatus zuständig war?
Als wechselnder Stichwortgeber (Pilatus, Judas) in den Rezitativen betätigte sich Wiede, der sich freilich als ein weit besserer Dirigent vorzeigte. In seinen Intentionen wurde er vom feinsinnig aufspielenden Siegfried Pank (Viola da gamba), von Dagmar Lübking (Orgel) und Sabine Erdmann (Cembalo) sowie den solistisch in Erscheinung tretenden Instrumentalisten unterstützt.Peter Buske
Peter Buske
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