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Kultur: Ausflug in die Welt der Erwachsenen

„Engel fliegen, Motten auch“: Das neue Stück des Kindermusiktheaters hatte Premiere

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„Engel fliegen, Motten auch“: Das neue Stück des Kindermusiktheaters hatte Premiere Es riecht nach Staub, der Lack des abschüssigen Dielenbodens ist abgetreten. An den Lehnen der Klappsessel franst der rote Wollbezug aus. Der Samtvorhang auf der Bühne schimmert im roten Scheinwerferlicht, links steht ein Flügel. „Engel fliegen, Motten auch“ heißt das neue Stück des Kindermusiktheaters (KiMuThe), das nun Premiere haben und die Anwesenden im halb gefüllten Saal des Treffpunkts Freizeit zu Gästen eines anrüchigen Cabarets machen wird. Nach dem Marlene Dietrich-Film „Der Blaue Engel“ (1930) hat Sandy Matischok, Studentin der Musikpädagogik, ein Theaterstück mit Gesangseinlagen entwickelt. In kurzen Szenen wird die Geschichte des Gymnasiumlehrers Professor (Un-)Rat erzählt, der sich in die Nachtclubsängerin Rosa Fröhlich, genannt Lola, verliebt. Das sich zum Martyrium entwickelnde Abenteuer einer aufregenden Liebe, die zu spät merkt, was es bedeutet, mit einer Frau wie Lola verheiratet zu sein. Das Aufeinanderprallen der bürgerlichen (Doppel-)Moral und Verklemmtheit mit der Freizügigkeit, dem Reiz und der Brutalität des Rotlicht-Milieus. Ein großes hohes Drehkreuz auf der Mitte der Bühne deutet mit seinen unterschiedlich dekorierten Winkeln die verschiedenen Orte des Geschehens an. Die Stube des Professors, der am Morgen entdecken muss, dass sein Kanarienvogel tot im Käfig liegt. „Der hat ohnehin nicht mehr gesungen“, die Haushälterin reißt dem Professor den Vogel aus der Hand und lässt ihn in den Papierkorb plumpsen. Das Klassenzimmer und den Schlafsaal der „Bengel“, in dem der Primus als einziger schläft und von Lola als einem Engel träumt, während die anderen sich bei derselbe Lola mit „hey baby“ und Kippe im Mund herumtreiben. Die Künstlerinnengarderobe, aus der die Schüler von ihrem Lehrer rausgeschmissen werden, nur damit er selbst Lolas Höschen stehlen kann. Und die Bühne des „Blauen Engels“, auf der Lola und die anderen Mädels ihre Revue- und Gesangsnummern darbieten und der Professor schließlich, als verstummter, lächerlicher Clown, sein Geld verdienen und Ansehen und Illusionen endgültig verlieren wird. Seit Mai diesen Jahres haben sich die zwölf Jugendlichen zwischen 12 und 16 Jahren mit dem Stoff beschäftigt. Sie entwickelten die Szenen aus Improvisationen und schrieben Liedtexte, die Sandy Matischok vertont und am Klavier begleitet hat. Erst Anfang Oktober standen die endgültigen Dialoge der Szenen fest. Das lange Improvisieren, die Arbeit am körperlichen und sprachlichen Ausdruck hat sich gelohnt. Die Jugendlichen bewegten sich erstaunlich frei, sprachen gut und hatten Lust am Spiel. Immer wieder gelangen ihnen direkte und lebendige Szenen, einige sogar ohne Worte, pantomimisch, zur Musikuntermalung. Die großen Rollen waren mehrfach besetzt und da die Gruppe fast gänzlich aus Mädchen besteht, ergab sich durch die Hosenrollen besonders in den Liebesszenen manchmal eine zusätzliche Komik. Auch gesanglich hatten die Jugendlichen einiges zu bieten. Das einzige, was sie natürlich überforderte und in einem rührenden Gegensatz zu ihren oft noch kindlichen Körpern stand, war die Verruchtheit und der Sexappeal, den besonders die Gesangseinlagen verlangten. „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ oder „Ich bin die fesche Lola, der Liebling der Saison“ war eine Nummer zu groß und passte einfach noch nicht. Die Netzstrümpfe und die aufreizenden Posen konnten noch nicht gefüllt werden. Vielleicht lag es mit am Premierenfieber, dass die Verbindung zum Publikum und ein mitreißendes Tempo nicht recht klappen wollten. Der Eifer, die Begeisterung und der Spaß, mit dem sich die Jugendlichen in diese Welt der Erwachsenen gestürzt haben, war aber deutlich zu spüren. Dagmar Schnürer

Dagmar Schnürer

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