Kultur: Ausrufezeichen
Orgelkonzert in St.Peter und Paul
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Meistens kennt man sie nur vom Hörensagen, aus der Musikliteratur, oder zu Teilen als Highlights sammelsurischer Orgelkonzertprogramme. Doch in Gänze hört man eine der insgesamt zehn Orgelsymphonien des Organisten Charles-Marie Widor (1844-1937), dem Begründer dieser speziellen französischen Form, höchst selten. Beim zweiten Orgelkonzert der diesjährigen Saison in St. Peter und Paul brach Andreas Zacher nicht nur eine Lanze für diesen Franzosen, der über sechzig Jahre lang sein Organistenamt an St-Sulpice in Paris versah, sondern auch für dessen Landsmann Louis Nicolas Clerambault (1676-1749), der zweihundert Jahre zuvor an gleichem Orte seines Amtes waltete. Eine zweifellos originelle (Sitzbank-)Klammer für dieses reizvolle, bedachtsam zusammengestellte Programm. Damit ihre Werke genauso erklingen können, wie sie es sich gedacht hatten, legten sie die Registrierungen fest. Bis heute halten sich die Ausübenden aller Länder daran.
In seiner „Suite du deuxieme Ton“ (aus dem „Livre d''Orgue“) ging Clerambault soweit, nur für ein bestimmtes Register, beispielsweise das Krummhorn ein Stück zu komponieren. Bei allen diesen Vorgaben ist einem Organisten dennoch genügend Raum gegeben, sein Können vorzuzeigen. Wenn im einleitenden „Plein jeu“ vermerkt ist, das „volle Spiel“ ohne Zungenstimmen auszuführen, dann ergriff Andreas Zacher die Möglichkeit, durch die betont artikulierte Schärfe der Prinzipalstimmen dem Stück eine kraftvolle Klarheit zu verleihen. Kammermusikalisch duftig und diskanthell spielte er das Duo; zart und anmutig, dunkler gestimmt und mittelstimmenreicher das Trio. Wie erwartet, schnarrte der Zungenklang des erwähnten Krummhorns in der Bassstimme (Basse de Cromorne), ohne dabei aufdringlich zu wirken. Elegie pur und einen Hauch von Klage verbreiteten Flötenregister plus Tremulant in „Flutes“. Gleichsam gläsern erklang das Recit de Nazard, eine Lippenpfeifenmixtur aus Quintregistern. Sozusagen „all inclusive“, also auch mit den eingangs ausgesparten Zungenstimmen, erklang schließlich das „Caprice sur le Grand jeux“. Des Vollrausches schien kein Ende.
Einer Zäsur zum zweiten Franzosen glich der Einschub von zwei Nummern aus Robert Schumanns „Sechs Stücken in kanonischer Form“ op. 56. Lieblich (mit Tremulant) sang das Adagio sein romantisch-sehnsuchtsvolles Lied. Dagegen konnte das „Nicht zu schnell“ all seine tokkataartigen Reize klangdezent entfalten. Dann folgte endlich die 6. Symphonie g-Moll von Charles-Marie Widor, die im organo pleno und vollgriffigen Klaviersatz gleich einem Orchestertutti anhob: majestätisch, geradezu rauschhaft im Pedal. Doch alles erklang überaus nobel und war kultiviert artikuliert. Und überschaubar phrasiert, sodass sich die Entwicklung des sinfonischen Geschehens gut verfolgen ließ. Im Adagio war der Seelenerbauung fast kein Ende. Klangoriginelle Register sorgten auch in den anderen Sätzen für effektreiche Abwechslung – wie im Intermezzo, einer ungestümen Tokkata, die an das Schubert-Lied „Eifersucht und Stolz“ mit der sich wiederholenden Phrase „sag ihr''s“ erinnerte. Im rauschhaften Finale setzte Zacher dann ein akkordisches Ausrufezeichen nach dem anderen, wobei das organo pleno erneut ein Orchestertutti imaginierte. Der Bogen zum Anfang schloss sich.Peter Buske
Peter Buske
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