Von Christina Siegfried: Außer Rand und Band
Cafe Royal Salonorchester in der Erlöserkiche
Stand:
Café Royal – unplugged. Oder sollte die Überschrift besser lauten: „Menschen in Erlöserkirche außer Rand und Band“. Und wie wär“s mit: „Skandal! Kaffehausmusik im Gotteshaus“. Doch das hier ist eine seriöse Rezension, daher verkneifen wir das Nach-Wippen der Füße, das innere Summen, schärfen den objektiven Blick: Da betraten am Freitag sechs Herren durchaus seriösen Outfits die Bühne und begannen – Kaffeehausmusik zu spielen. Das tun sie vom ersten Ton an ganz famos, zugegeben.
Aber sind wir nicht in einer Kirche? Weich schmelzend die Viola, fein singend die Violine, das Saxophon mit samtig-rundem Klang, das Akkordeon wie ein locker gespieltes Piano, Gitarre und Bass als subtiles rhythmisches Grundgerüst, alle perfekt abgestimmt im Zusammenspiel.
Schon nach dem zweiten Titel zauberte sich ein Lächeln in so manches Gesicht. Noch während des dritten Titels kamen spontaner Beifall und Begeisterungsrufe. Da klang vertraut ungarisch-czardazmäßiges Violingeseufze (wie schön!), um sogleich im rhythmischen Drive davongetragen zu werden. Keine Sentimentalitäten bitte!
Wunderbar harmonisierend, perfekt in der gemeinsamen Improvisation. Und schließlich gab es kein Halten mehr: Nach 15 Minuten hatte das Cafe Royal Salonorchester die Zuhörer in der Erlöserkirche in den Bann geschlagen. Das muss man so erst einmal schaffen.
Gekommen waren sie, um eine Reise anzutreten – von Hamburg nach Ungarn und über Österreich nach Paris, der Stadt ihres großen Vorbilds Django Reinhardt. Und wenn es nicht New York oder sonst eine Metropole ist, nennen sie es eben Buxtehude. Dieser „Buxtehude-Sound“ ist es denn auch, der den großen Erfolg der Band in den letzten Jahren begründet. Reich gespeist aus den Quellen des Gypsyswing, der Wiener Kaffeehausmusik und ungarischer Volksmelodien, angereichert mit Jazz, Swing und eigenen Kompositionen platzieren sie ein musikalisches Understatement, das seinesgleichen sucht. Der TV-Kanal arte hat die Bandgeschichte und die der Sinti-Familie Weiss verfilmt. Stolz wird dort die Tradition und Verwandtschaft zum legendären Geiger Carlos Weiss aufgezeigt, in deren Bewusstsein neue musikalische Wege eingeschlagen werden.
Dies vereint inzwischen drei Generationen: Bummel Weiss an der seufzenden „Swinggeige“, Pello Weiss an der nicht minder swingenden Viola (wie kam eigentlich Jazz bisher ohne Bratsche aus?), Baro Kako Weiss am Akkordeon (von wegen „Quetsche“: Hammondorgel) und Jazzpiano, immer da und nie aufdringlich, in seiner Reduktion ganz groß, Kako Weiss mit einem souverän und so flexibel gespielten Saxophon, Clemens Rating mit einer feingliedrig, rhythmisch akzentuierten Gitarre und schließlich Axel Burkhardt am Kontrabass mitreißend sowohl in seiner „Fundamental-Funktion“ wie solistischen Musikalität. Das jüngste Mitglied ist die erst 13-jährige Melody Weiss. Ein Riesentalent mit einer erstaunlich reifen Stimme, wenn auch noch etwas zaghaft in der Bühnenpräsenz. Aber bitte: Nicht verheizen!
Nach mehr als eineinhalb Stunden aufregenden Musizierens: Jubelrufe, lautes Klatschen, Mitsingen und Füßetrampeln. Wo waren wir? Im Café, im Jazzschuppen, in einer Budapester Kneipe? Mit dem Bier in der Hand an eine Bar gelehnt? Die Frage, warum ein so instrumentales Programm in die „Potsdamer Vokalwoche“ gehört, ist – der Autorin ist es bewusst – echt beckmesserisch, auch wenn es um „Dialoge“ ging, die hier ganz erfüllt-erfühlbar geführt wurden. Nein, wir waren in einem Gotteshaus! Aber ohne respektlos zu sein – dem Herrgott hat“s bestimmt auch gefallen.
Christina Siegfried
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