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ZUR PERSON: „Bach hat nunmal traditionell gedacht“
Nein, das ist nicht übertrieben. Das klingt wirklich wie Schönberg.“ Anton Steck, der morgen mit Marieke Spaans auftritt, über Beschwerdebriefe und den galanten Stil Beide wollten, dass Bach an den Dresdener Hof kommt.“
Stand:
Herr Steck, „Sturm und Drang im Hause Bach“ ist Ihr Konzert am morgigen Donnerstag mit der Cembalistin Marieke Spaans im Kammermusiksaal Havelschlösschen überschrieben. Nur denkt man bei „Sturm und Drang“ nicht eher an die deutsche Literatur in der Epoche der Aufklärung, also an Herder, Goethe und Schiller und nicht gerade an Bach, Vivaldi und Pisendel?
Doch, doch, diese Parallelen gibt es auch in der Musik. In Bachs Leipziger Zeit war der neue Rektor, also Bachs Chef, bereits ein Aufklärer.
Was dem konservativen Johann Sebastian Bach nicht unbedingt viel Freude bereitet haben wird?
Bach hatte mit ihm quasi täglich Stress. Der ist da ja fast verrückt geworden. Ein Jahr lang hat Bach damals jeden zweiten Tag einen Brief an August den Starken geschickt, dem obersten Herrn von Sachsen, um sich über diesen Rektor zu beklagen. Bach hat nunmal traditionell und konservativ religiös gedacht, obwohl 1719, wo Bach nach Leipzig kam, die Aufklärung längst in vollem Gange war. Sein Sohn Carl Philipp Emanuel Bach war da ja schon fast 16 Jahre alt. Und der wird beide Richtungen, die aufklärerische und die konservative, in vollem Umfang mitbekommen haben. Allein dadurch wird beim alten Bach Sturm und Drang angesagt gewesen sein. Das lässt sich gut auch als Wortspiel lesen.
In welcher Form?
Da war der Sturm vom alten Bach gegen die Aufklärung und der Drang von Carl Philipp Emanuel, der nicht verstehen wollte, warum er diese neuen Strömungen in seiner Musik nicht aufnehmen sollte.
Ein typischer Generationenkonflikt?
Ja, das übliche Problem zwischen Vater und Sohn oder zwischen Eltern und ihren Kindern. Die Alten sagen, hier wird nicht gepierct oder tätowiert, und die Jungen verstehen nicht, warum das so sein soll, weil, das machen doch jetzt alle, um mal ein aktuelles Beispiel zu nennen.
Um bei diesem Beispiel zu bleiben: Was war nun das Piercing, das Tattoo in Carl Philipp Emanuels Musik, was seinen Vater so aufbrachte?
Dieser neue, galantere Stil. Und in dieser neuen Schreibweise, die nicht mehr so streng auf Fuge und Kontrapunkt beruhte, fühlte es sich sehr wohl. Carl Philipp Emanuel Bach fühlte sich darin ja auch durch seinen Onkel Georg Philipp Telemann bestätigt, der schon in den 1720er Jahren nationale Stile vermischt und somit diesen leichteren und freundlicheren Tonfall aus Frankreich mit in den deutschen und italienischen Stil hineingenommen hatte.
Also ein Konzert, das musikalisch Alt gegen Neu antreten lässt?
Ja, da ist die strenge Tradition der Komposition und der Aufbruch in die neue Zeit. Wir spielen die Sonate für Violine und obligates Cembalo in g-moll, ein Frühwerk von Carl Philipp Emanuel, das noch sehr stark unter dem Einfluss seines Vaters, dieser Bachherrschaft, steht und deshalb immer beide als Komponisten benannt werden. Und dann sozusagen den Endpunkt in der musikalischen Entwicklung der Bachfamilie, die fis-moll-Fantasien von Carl Philipp Emanuel Bach.
Die ja wirklich den Hörer überraschen.
Vor kurzem kam nach einem Konzert in Trossingen ein Kollege, ein Saxofonist, zu mir und fragt mich: Steht das alles so in den Noten? Worauf ich geantwortet habe: Das steht alles so da. Und nach einem kurzen Moment sagte er: Das klingt ja wie Schönberg.
Ging Ihr Kollege da nicht ein bisschen zu weit?
Nein, das ist nicht übertrieben. Das klingt wirklich wie Schönberg und teilweise fragt man sich dann wirklich, was da gerade passiert. Denn man denkt, das ist ja völlig wirr, obwohl schon nachvollziehbar ist, wohin diese Reise geht.
Fast möchte man meinen, da improvisiert einer?
Ja, mein Kollege, der Saxofonist, sagte ein wenig ernüchtert: Und ich dachte, wir hätten das im Freejazz erfunden. Und das in einem Stück von 1787.
Neben Johann Sebastian Bach und Carl Philipp Emanuel stehen aber noch Vivaldi und Pisendel auf Ihrem Programm. Was haben ausgerechnet die mit dem „Sturm und Drang im Hause Bach“ zu tun?
Das ist gerade interessant. Denn Vivaldi kennen wir gar nicht mit solchen klassischen Anflügen. Das liegt aber nur daran, weil wir die entsprechende Literatur nicht kennen.
Und Vivaldi vor allem mit seinen „Vier Jahreszeiten“ in Verbindung bringen?
Ja, erst vor kurzem habe ich ein Konzert mit zwei Klarinetten gespielt. Und die Klarinette ist ja ein typisches Instrument der Aufklärung. Dazu zwei Flöten, zwei Oboen, zwei Geigen solo und einem Orchester. Und wenn sie dieses Spätwerk von Vivaldi hören, glauben sie nicht, dass es schon zu dieser Zeit entstanden sein soll. Und Vivaldi war im gleichen Alter wie Johann Sebastian Bach. Aber er hat sich wohlwollend dem neuen Stil angenähert.
Und Johann Georg Pisendel?
Der war ja schon seit 1709 mit Bach befreundet und hat in Bachs Weimarer Zeit auch dessen Kantaten als Konzertmeister aufgeführt. Und Pisendel ist ja ein Bindeglied zwischen Vivaldi und Bach, weil er bei Vivaldi studiert und dieser ihm sogar bestimmte Kompositionen gewidmet hat. Pisendel hat dann die Musik von Vivaldi mit zur Dresdener Hofkapelle gebracht. Und die sind dann schon ganz deutlich in die neue, musikalische Richtung gegangen, die wir heute galanter Stil, Früh- oder Vorklassik nennen.
Auf der einen Seite Johann Georg Pisendel, der nicht nur offen für den neuen Stil war, sondern ihn auch befördert hat. Auf der anderen Johann Sebastian Bach, der unverbesserliche Traditionalist. Wie hat diese Freundschaft überhaupt funktionieren können?
Beide verfolgten ein gemeinsames Interesse. Beide wollten, dass Bach an den Dresdener Hof kommt. Denn natürlich wollte Bach am damals besten Orchester in Europa teilhaben. Doch nach der Aktion mit den Beschwerdebriefen wegen des neuen Rektors in Leipzig konnte August der Starke den Namen Bach schon nicht mehr hören.
Das Gespräch führte Dirk Becker
„Sturm und Drang im Hause Bach“ mit Werken von J. S. Bach, G. Pisendel, Vivaldi und C.P.E. Bach am morgigen Donnerstag, 20 Uhr, im Kammermusiksaal Havelschlösschen, Waldmüllerstraße 3. Der Eintritt kostet 25, ermäßigt 15 Euro. Kartenreservierung unter Tel.: (0331) 74 814 96
Anton Steck studierte moderne Violine bei Jörg-Wolfgang Jahn in Karlsruhe, anschließend Barockvioline bei Reinhard Goebel am „Sweelinck-Konservatorium“ in Amsterdam.
Jahrelang wirkte Anton Steck als Konzertmeister der renommiertesten Alte-Musik-Orchester Les Musiciens du Louvre, bei Concerto Köln und Musica Antiqua Köln. 1996 gründete er das Schuppanzigh-Quartett. Anton Steck ist Professur für Barockvioline an der Staatlichen Hochschule für Musik in Trossingen.
Marieke Spaans ist eine der wenigen Cembalisten, die ein fünfjähriges Studium bei Gustav Leonhardt absolvieren durfte. 2000 war sie Preisträgerin beim Wettbewerb „Musica Antiqua“ des Flandernfestivals Brügge und beim „Premio Bonporti“ in Rovereto. Seit 2004 ist Marieke Spaans Professorin für Historische Tasteninstrumente an der Musikhochschule Trossingen. kip
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