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Ihr blutet nicht das Herz, wenn es Unschuldige trifft. Die Schriftstellerin Christine Anlauff.

©  A. Klaer

ZUR PERSON: „Banale Morde sind langweilig“

Es braucht schon einen Tabubruch. Geklaut wird ja überall.“ Christine Anlauff über künstlerische Verbrecher, Rachefantasien und die Notwendigkeit einer Leiche Das Schöne ist, ich kann dieser Rachefantasie frönen, sie zum Mord weiterspinnen.“

Stand:

Frau Anlauff, lassen Sie uns über das Böse, also den Menschen reden.

Der Mensch ist doch nicht böse. Er hat nur Wünsche und Zwänge und strebt ständig nach deren Befriedigung. Und dann gibt es, na ja, manche Menschen, die einen Hang zu alternativen Modellen entwickelt haben, um eben diese Befriedigung zu bekommen.

Alternative Modelle, die wir auch als Modelle des Bösen bezeichnen können?

Nicht zwingend, aber hier kann das Böse schon mal ins Spiel kommen, wenn bei den Betreffenden sich ein Mangel an Empathie mit Größenwahn und am besten noch mit einer künstlerischen Veranlagung verbindet.

Künstlerische Veranlagung? Jetzt wird es interessant.

Die Fälle in Kriminalromanen sind ja selten so angelegt, dass da einer einem anderen von hinten auf den Kopf haut und, nachdem er ihm die letzten Cents geklaut hat, einfach weg geht.

Also braucht es den Verbrecher als Künstler?

Ja, davon lebt doch jeder Kriminalroman. Banale Morde sind langweilig, es sei denn, es handelt sich um Serienmorde.

Wie tief muss eine Autorin von Kriminalromanen hinabsteigen in die Abgründe der menschlichen Psyche?

Ich muss ja nur in meine eigene Psyche hinabsteigen, da findet sich schon genug. Das ist ja das Gute daran, wenn man Krimis schreibt: Jedem noch so kleinen Gedanken kann ich nachhängen, ihn ausmalen, aufschreiben und damit auch noch Geld verdienen.

Sie sprechen von den Rachefantasien, die jeder kennt, jeder hat?

Genau, jede noch so kleine Rachefantasie, und davon habe ich nicht wenige. Wenn sich da was regt, dann halte ich inne und baue das aus. Das Schöne daran ist, ich kann dieser Rachefantasie frönen, kann sie gar zum perfekten Mord weiterspinnen, ohne dass es rauskommt. Aber es muss ja nicht immer nur Rache sein, manchmal wirkt da einfach nur persönliches Sicherheitsstreben. Oder auch nur Neugier nach dem Muster: Was passiert wenn.

Und wenn diese Fantasie sich so richtig schön bunt ausmalen lässt, entsteht daraus eine Kriminalgeschichte?

Genau, zu Hause habe ich ein Buch, in dem alle möglichen Morde und alle möglichen Motive notiert sind.

Also ist das Schreiben von Kriminalromanen letztendlich auch nur eine Form von Therapie?

Ich kann mir denken, was Sie da jetzt für eine Antwort erwarten. Aber den Gefallen tue ich Ihnen nicht. Nein, das Schreiben macht einfach nur Spaß.

Nur Spaß?

Es ist auch ein Spiel.

Ein Spiel mit den Möglichkeiten?

Ja, wie bei dem Spiel „Carcassonne“, wo man viele verschiedene Städte baut. Und da versucht man auch, die schönste Stadt mit den besten Verbindungen zu errichten.

Gibt es Vorbilder bei dem Spiel Kriminalroman?

Ich liebe Fred Vargas. Sie ist für mich auch die einzige Krimiautorin neben Ruth Rendell, die ich gerne lese und die nicht so verplüscht ist. Dann ist da noch Simon Beckett.

Ehrlich? Simon Beckett?

Ich mag seine akribische Art. Wie er die Fälle aufbaut, das nicht so. Aber ich lerne viel von ihm.

Also ist das Lesen von Kriminalromanen bei Ihnen immer zugleich Unterhaltung und Lernprozess?

Nur bei den Besten. Manchmal ist reine Unterhaltung aber auch nicht schlecht, so kurz vor dem Einschlafen.

Schreiben Frauen anders als Männer?

Ich würde sagen Ja, obwohl es Ausnahmen gibt. Männer gehen da rationaler ran. Die sind zwar auch verspielt und technikbegeistert in jeder Hinsicht. Frauen dagegen, und das bezieht sich nicht nur auf Krimis, beschäftigen sich gern mit sich selbst, bestimmten psychologischen Motiven und sozialen Zusammenhängen.

Und wenn es um Morde geht? Neigen Männer mehr zu Grausamkeiten in den Schilderungen oder sind die Frauen da fantasievoller?

Die sind anders fantasievoll. Ingrid Noll ist ja ein sehr gutes Beispiel dafür, dass man auch als Frau sehr fantasievoll Morden kann. Bei Männern haben wir es oft mit Serienmördern zu tun. Serienmorde, bei denen die Männer ihre Fantasien ausspielen. Dann kommt die Ermittlung, die vor allem durch Polizisten erfolgt. Bei Frauen ist da noch eher der Hang zum Detektivroman.

Kann ein guter Krimi überhaupt ohne Mord auskommen?

Es muss zumindest der Verdacht bestehen, dass es einen Mord gegeben hat.

Ohne Leiche geht es also gar nicht?

Ich glaube nicht. Der Leser braucht schließlich eine gewisse Motivation, um sich durch ein solches Buch zu kämpfen. Allein ein Bankraub reicht da nicht aus.

Warum aber diese Fixierung auf das Morden und Meucheln?

Es braucht schon einen Tabubruch. Geklaut wird ja überall. Damit lockt man keinen. Und einen Menschen zu töten, das ist der größte Tabubruch überhaupt.

Ist es eigentlich einfacher in so einem Krimi einen Unsympathen, vielleicht sogar Schuldigen sterben zu lassen?

Natürlich fällt es mir leichter, mir einen Mord auszumalen, bei dem es einen Schuldigen trifft. Aber selbst da ist ein Mensch viel zu breit gefächert als das man einfach nur sagen kann der ist böse. Aber mir blutet auch nicht das Herz wenn Unschuldige sterben.

Wie bitte?

Nein, es ist ja nur ein Krimi.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Tini Anlauff stellt am heutigen Freitag um 20 ihren Krimi „Katzenmond“ in der Buchhandlung Viktoriagarten in der Geschwister-Scholl-Straße 10 vor. Der Eintritt kostet 5, ermäßigt 3 Euro. Kartenreservierung unter Tel.: (0331) 967 86 450

Christine Anlauff, geb. 1971 in Potsdam, ist Schriftstellerin.

Nach einer Ausbildung zur Buchhändlerin, studierte sie Archäologie, Geschichte und Literaturwissenschaft in Berlin und Potsdam.

Im Jahr 2005 erschien ihr Debütroman „Good morning Lehnitz“ in dem sie ihre eigenen Erfahrungen kurz nach der Wende verarbeitet, als sie in einer NVA-Kaserne ihr Abitur nachholte.

Vor zwei Jahren erschien mit „Katzengold“ der erste Kriminalroman von Christine Anlauff, für den sie im selben Jahr mit dem 1. Deutscher Katzenkrimi-Preis ausgezeichnet wurde. Mit „Katzenmond“ hat sie gerade ihren zweiten Katzenkrimi veröffentlicht.

Christine Anlauff lebt mit ihren vier Kindern und ihrem Mann in Potsdam-West. PNN

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