Lehrstunde in Sachen Belcanto: Barockarien mit Franco Fagioli im Nikolaisaal
Konkurrenz belebt das Geschäft. Auch im Opernbetrieb, besonders im Zeitalter des Barock, wo ständig Novitäten zu liefern unumgänglich ist.
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Konkurrenz belebt das Geschäft. Auch im Opernbetrieb, besonders im Zeitalter des Barock, wo ständig Novitäten zu liefern unumgänglich ist. Ob in London, Venedig oder Neapel – man buhlt um die Gunst des Publikums. Allen voran die Operngiganten Georg Friedrich Händel und Nicola Antonio Porpora, zudem gesuchter Gesangslehrer, die für die berühmtesten Kastraten Senesino, Farinelli und Caffarelli das benötigte Virtuosenfutter liefern. Je raffinierter und kehlenakrobatischer, desto besser. Dass letztlich vieles davon ähnlich gerät, bleibt dabei nicht aus. Egal, an den affektgeschwängerten Arien aus weithin vergessenen Bühnenwerken kann man sich auch heutzutage noch erfreuen. Besonders dann, wenn sie von entsprechend geschulten Stimmen dargeboten werden. Zu ihnen gehört der Argentinier Franco Fagioli, der am Samstag im Nikolaisaal mit Trouvaillen aus der Schatztruhe der einstigen Wettstreiter sein stupendes Können eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat. Begleitet wurde er dabei vom Ensemble „Armonia Atenea“, das unter Leitung von George Petrou mit historischer Aufführungspraxis bestens vertraut ist.
Eröffnet wird der Abend mit dem Concerto grosso D-Dur op. 8 Nr. 4 von Arcangelo Corelli, das sehr energisch, aber dennoch federnd und elegant vorgetragen wird. Angespornt von einem Maestro di cappella, der auch ganzkörperlich in der Musik aufgeht. Historisch informiert, liebt er klangliche Klarheit. Und so lässt er nicht nur hier straff artikulieren, genau phrasieren und ohne Vibrato spielen. Dann betritt, mit Auftrittsapplaus überhäuft, Franco Fagioli das Podium, um sich sogleich voller Verve in zwei Arien aus Händels „Rodelinda“ zu stürzen. In „Pompe vane di morte“ sucht Bertarido Tröstung im Wiedersehen mit seiner königlichen Frau Rodelinda, in „Vivi tiranno“ fordert er seinen Schwager Grimoaldo zum Kampf heraus. Von Affekten der Wut und Rache geprägt, geben sie dem Sänger die Möglichkeit, voller Leidenschaft mit auszierungsreicher Rasanz zu brillieren. Mühelos reihen sich Läufe, Triller, Stakkati, Koloraturen aneinander, die mitunter blitzschnell miteinander in Wettstreit treten. Nicht weniger atemberaubend, wie Fagioli in der ersten Arie berührende Schwelltöne mit langem Atem erzeugt und sie unterschiedlich einzufärben versteht. Er huldigt keinem neutralen Schöngesang und ist keine langweilige Singmaschine, sondern ein kraftvoll singender, leidenschaftslodernder Gestalter menschlicher Stimmungen und Emotionen. Um das zu erreichen, sind ihm alle stimmtechnischen Mittel recht, die ihm mühelos zur Verfügung stehen. Dabei erinnern sein gedecktes Timbre und dreioktaviger Stimmumfang von Bassestiefe bis Sopranhöhen eher an einen Altus denn einen Countertenor. Von seiner gestalterischen und stimmtechnischen Vielseitigkeit künden auch zwei Arien aus Händels „Serse“, in denen der Perserkönig zum einen („Crude furie“) herrisch seinem Zorn über getäuschte Liebe kundtut, zum anderen („Se bramate d’amar“) die Verdächtigen mit verachtend-aufgeregten Affekten beschämt. Doch auch in den Arien aus Porpora-Opern „Meride e Selinunte“ und „Polifemo“ sowie dessen Cantata „Il Vulcano“ kann Fagioli die Spannweite der Affekte gleich einem eleganten und sicheren Surfer auf sanft wiegenden bis aufschäumenden Notenwellen begeistern und wird nach jedem Beitrag enthusiastisch gefeiert.
Zugaben folgen nach den finalen Ovationen. Darin eingeschlossen auch die Musiker, die mit weiteren instrumentalen Zutaten aufwarten. So begeistern Carmen Otilia Alitei und Sergiu Nastasa in Vivaldis Violindoppelkonzert a-Moll op.3 Nr.8 ebenso wie gemeinsam mit den anderen in der temperamentvoll gespielten „La follia“-Sonata op. 1 Nr. 12, während Theorbist Theodoros Kitsos das Solo in Johann Adolph Hasses Concerto für Mandoline G-Dur sehr einfühlsam zupft. Peter Buske
Peter Buske
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