Kultur: Bechstein, Wilhelm Kempff und St. Nikolai
Eine neue Veranstaltungsreihe in der Kirche am Alten Markt: „Musik und Geschichte“
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Eine neue Veranstaltungsreihe in der Kirche am Alten Markt: „Musik und Geschichte“ „Ein Klavier, ein Klavier! Wir danken Dir!“ heißt es sinngemäß in einem guten Sketch von Loriot. Nun war das, was am Sonntagnachmittag im Gemeindesaal der Nikolaikirche zu präsentieren war, nicht etwa ein Klavier, sondern ein echter Bechstein-Flügel, ein Schmuckstück, ja ein Kunstwerk, trotz seiner achtzig Jahre wie nagelneu. Der Nikolaikantor Wilhelm Kempff und dessen Söhne Georg und Wilhelm haben darauf genauso gespielt wie Furtwängler. Jetzt melden sich weitere, die es genauso getan. Keine bessere Gelegenheit war nötig, um dergestalt würdig eine neue Veranstaltungsreihe, „Musik und Geschichte“, ins Leben zu rufen, welche sich ganz auf Potsdam konzentrieren will. Den Anfang machte der berühmte Pianist Wilhelm Kempff (1895- 1991). Der gebürtige Jüterboger war zur Jahrhundertwende mit seiner Familie in die Residenzstadt gekommen, als alle Glocken ein neues Zeitalter zu verkünden schienen; man weiß, was daraus geworden ist. Sein Vater gleichen Vornamens, ein „Königlicher Musikdirektor“, gründete Chöre und Musikvereine, deren man in dieser Reihe genauso auch gedenken könnte wie der zahllosen Kantoren-Generationen der Stadt. Sein Filius, eine Frühbegabung, brachte sich mit Mozarts Sonaten (sein „Türöffner“) selbst das Klavierspiel bei. Ohne die Pedale erreichen zu können, schaute er sich als Knirps in St. Nikolai auch die ersten Orgelgriffe vom Vater ab. Diese Kirche schien ihm schon damals mehr der Musica sacra als dem gesprochenen Gotteslob geneigt. Bei Trauungen vertrat er den Vater, was zu Anekdoten führte: Kurzfristig beschloss eine Matrone, etwas anderes spielen zu lassen. Sie eilte auf die Orgelempore, wo sie das Kind fand. „Wartest du auch auf den Kantor? fragte sie. Schnurren. Solche Kindheitserinnerungen beschrieb Kempff in seinem 1951 veröffentlichten Buch „Unter dem Zimbelstern“. Vorleser Klaus Büstrin stellte einige Kapitel daraus vor, konnte aber auch mit Eigenem memorieren, kannte er Kempff doch noch persönlich. So musste er in Foersters Garten mit seinem Freund Wolfgang Joop zur Strafe für eine „Jugendsünde“ eine halbe Stunde Beethoven-Sonaten hören, gespielt von Kempff persönlich. Nach dem Mauerbau kam der Pianist nur noch selten nach Potsdam, er lebte in Westdeutschland und im italienischen Positano. Sein Konzertleben reichte bis ins 82. Jahr. Was er, meist im spätromantischen Stil, komponierte, wird heute aber selten gespielt. Genau das hätte in diesen Veranstaltungs-Auftakt hineingehört. Dafür gab Kantor Björn O. Wiede zwischen eigenen Improvisationen zwei Sonaten der Bachsöhne Carl Philipp Emanuel und Johann Christian Bach, „als Klavierspieler, nicht als Pianist!“ Man hörte einen echten Bechstein-Ton und ließ sich belehren, wie sehr dieses Instrument warme, natürliche Farben bevorzugt. Der alte Herr in St. Nikolai“s Gemeindesaal, von der Stammfirma selbst restauriert, ist offenbar ein großer Individualist. Gute Musik verleiht eben Flügel, manchmal sogar Riesen-Flügel. Gerold Paul Nächste Veranstaltung am 17. April
Gerold Paul
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