Kultur: Beckett als Gespenster- Spektakel Freie Kammerspiele
mit „Enspiel“-Premiere
Stand:
Draußen ist nichts mehr los. Die Türen sind zu, alle Spiele gespielt. Eingeschlossen vier Leute in einem Raum, an Körper oder am Geiste versehrt. Solange noch ein Funke Menschsein in ihnen ist, sind sie aufeinander angewiesen. Aber es gibt eine Hierarchie. Hamm, blind an einen Stuhl gebunden, ist der Boss, Clov sein hilfreicher Diener. Auch er soll etwas von der unbenannten Außenkatastrophe abbekommen haben, angeblich kann er nicht mehr „sitzen“. Samuel Becketts „Endspiel“ findet also drinnen statt, auf der dunkelschwarzen Bühne der Freien Kammerspiele Babelsberg. Die Premiere am Sonnabend wurde mit viel Applaus bedacht. Absurdes Theater und Beifall? Eigentlich ein Unding.
Genaugenommen ist „Endspiel“ gar kein Theaterstück. Wie schon in „Warten auf Godot“, besteht das Geschriebene „nur“ aus Untertext für einen ganz anderen Vorgang. Passgenau inszeniert, lässt es keinerlei „Interaktion“ mit dem Publikum zu, ästhetisch schon gar nicht, wie und warum sollte es sinnvoll sein, das Sinnlose in Reinkultur darzustellen? So gesehen, ist Beckett nicht aufführbar, jede Inszenierung bleibt ein Kompromiss. Auch in Babelsberg. Wollte Regisseur Wolf Vogel mit seiner Endspiel-Version (Übersetzung Elmar und Erika Tophoven) eine überfamiliäre Parabel auf Becketts Parabel setzen? Die Eingriffe in den Autorentext sind folgenreich: Man erfährt nicht, dass die vierköpfige Personage eine Familie ist, oder mal war, Nell und Nagg (Katharina Bellena, Christian Schlag) als Hamms Eltern, Clov (rückwärts „Volk“) dessen Sohn, nichts von Nells Sterben. Den Eltern wurden auch keine Mülltonnen als Wohnstatt gegönnt. Sie sitzen nur im Halbdunkel auf ihren traurigen Stühlen, beim Reden beleuchtet, sonst wie im Off. War davon die Rede, dass der lebensmüde Hamm (Arnim Beutel) seinen Filius (Michaela Benn) bittet, ihn zu erschlagen, sah man ihn nach Becketts Willen am Ende den Schauplatz verlassen? Den Koffer stets griffbereit, verharrt er am Orte. Letztlich ein Spiel im Spiel: Hamm, Herr über die letzten Lebensmittelreserven, kann aus diesem Selbstläufer immer wieder „aussteigen“, doch wozu? Es geht ja doch nichts mehr.
Seltsamerweise funktioniert die neunzigminütige Inszenierung auf der Off-Bühne trotzdem, und zwar wie ein Clownsspiel. Clov mit angemalten Wimpern und passendem Kostüm gibt in dieser Ästhetik den dummen August, sein Widerpart den Weißclown mit eher psychologischen Zügen. Nell und Nagg blieben nur Stichwortgeber in diesem Gespenster-Spektakel, welches genauso gut menschliche Innenräume des Iren meinen kann, Beckett schrieb das Stück mit einundfünfzig Jahren. Schade nur, dass Wolf Vogel eine lineare Figurenführung bevorzugt. Dennoch: Spannung ist drin, Humor ist drin, alles gebremst und gesiebt. Die gedankliche Rahmung ist klar, alle Beziehungen sind aufgehoben, alles ist sinnlos, Bleiben und Gehen, Reden und Schweigen, selbst das scheinbar Starke besteht aus Schwäche – nur täte das erst bei verdoppelter Spieldauer weh. Als Parabel auf die Gegenwart ist diese Inszenierung zu unscharf. Becketts „Endzeit“ (1957) stand im Zeichen von Wasserstoffbomben -Explosionen, doch hat nicht jede Zeit ihr eigenes Endzeitbewusstsein? Um heutige Sinnkrisen deutlich zu machen, hätten die Darsteller etwas gebraucht, was Beckett nie schrieb, einen eigenen Untertext zu dem seinen.Gerold Paul
Nächste Vorstellungen am 21. und 22. November, 20 Uhr
Gerold Paul
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