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Kultur: Bedrückend

Lesung aus Annette Flades Buch zur Friedensdekade

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Ausländer rein oder Ausländer raus – das war für Annette Flade nie eine Frage. Rein natürlich, notfalls auch mit dem „Hexenbesen“. Diese denkwürdige Auszeichnung des Autonomen Frauenzentrums trägt die studierte Theologin seit vier Jahren, weil sie sich darum bemühte, „den Frauenrechten Geltung zu verschaffen“. Bis 2004 war sie Ausländerseelsorgerin des Kirchenkreises Potsdam, nun missioniert sie in Sumatra. Über ihre Erfahrungen mit dem Abschiebe- und Bleiberecht für Asylsuchende hat sie ein Buch veröffentlicht. „Geht dem Flüchtling mit Brot entgegen“ (Eigenverlag) handelt nicht nur von Frauen, sondern auch von ganzen Flüchtlingsfamilien, welche das deutsche Asylrecht mehr oder weniger erfolgreich bemühten. Vor einem zahlreich erschienenen Publikum lasen am Dienstag Almuth Berger und Klaus Büstrin in der Stiftungsbuchhandlung anlässlich der Ökumenischen Friedensdekade daraus vor.

Pfarrer Stephan Flade, wegen einer Familienangelegenheit derzeit aus Sumatra zurück, berichtete danach in epischer Breite von seiner Missionstätigkeit vor Ort. Mit einer Ausnahme fand die vielleicht etwas einseitige Darstellung der Autorin gutes Gehör, denn einem Fremden zu helfen, ist ja samaritanische Christenpflicht. Sein Recht darf nach der Bibel nicht gebeugt werden. Allerdings steht auch geschrieben, dass der Fremde das Gesetz des Landes hören solle.

Aber Annette Flade ging es vielleicht gar nicht um die mosaischen Gesetze, sonst hätte sie den „Hexenbesen“ von ganz anderen bekommen. Sie vertritt die Frauen- und Menschenrechte der Irdischen als „Überzeugungstäterin“, und geriet dergestalt immer wieder mit dem Gesetzgeber in Konflikt. Die vorgetragenen „Fälle“ von Gilbert aus Kenia und Jaqueline aus Kamerun, von Rami aus Afghanistan und Gule aus dem Kurdenland sind, jeder für sich, menschlich sehr bedrückend, zumal die Autorin gelegentlich den Eindruck erweckt, als gehe die hiesige Jurisdiktion gegen selbstgeschriebene Normen vor. Das wird bei der staatenlosen Familie Sladkov aus der ehemaligen Sowjetunion vielleicht so gewesen sein, die eher in Zaire ihr Glück gefunden hätte, als in der Kälte Deutschlands. Aber da war einer im Publikum, der diesen Fall wohl auch kannte: Die Sladkovs hätten es einfach versäumt, rechtzeitig eine neue Staatsbürgerschaft zu beantragen. „Selber schuld“, sagte er, warum sollten „wir“ jetzt ihre Probleme lösen? Leider kam es darob zu keiner Diskussion, die emeritierte Ausländerbeauftragte des Landes sah das nämlich ganz anders.

Nach der beeindruckenden Lesung kann man nicht gerade behaupten, dass sich die Behörden mit ihrem Herzblut um Menschenschicksale bemühen. Familienzusammenführungen von Asylsuchenden innerhalb der EU sind davon abhängig, in welchem Land man sich zuerst „angemeldet“ hat, ein Computerfehler führte zur traumatisierenden Verhaftung einer bosnischen Frau – die Einflussnahme von Annette Flade hingegen zur Scheidung eines ausländischen Ehepaares. Viel zu lesen, viel zu denken in der Friedensdekade 2006. Gerold Paul

Gerold Paul

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