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Kultur: Beeindruckende Illusionen Andrej Hermlins Swing Dance Orchestra gab

im Krongut Bornstedt ein „Sommernachtskonzert“

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im Krongut Bornstedt ein „Sommernachtskonzert“ Von Matthias Hassenpflug Die Suche nach dem vermeintlich „Echten“ und „Wahren“ lässt die Menschen manche Kapriolen schlagen. Den Anspruch, etwas genau so wie „damals“ zu zeigen, teilen das Bornstedter Krongut ebenso wie Andrej Hermlins Big Band, die mit ihrem Frank Sinatra Programm – just auch auf CD erschienen – im edlen Hohenzoller“schen Brau-, Back- und Brathof unter freiem Himmel ein „Sommernachtskonzert“ erklingen ließ. In Hermlins Swing Dance Orchestra muss alles authentisch sein: die Arrangements, die oft aus alten Radioaufnahmen mühevoll transkribiert werden, der Sound, der ohne große elektronische Verstärkung auskommt, sogar die Kleidung. Und sieht man von einem der 1000 Klappstühle, die in vier Blocks zum Quadrat inmitten des riesigen Krongutplatzes aufgebockt worden sind und von denen jeder zweite auch besetzt war, auf die kleine, dennoch in königlichem Dunkelblau würdevoll umrahmten Bühne, wollte man meinen, der Authentizitätswahn von Conférencier Hermlin, seinem Sinatra-Sänger David Rose und den Musikern hätte sogar ihre Gesten und Mimik übernommen. Ein wenig erscheint diese Bühne, in der die zwanzigköpfige Musikergruppe ein bisschen eingepfercht wirkt, wie ein überdimensioniertes altes Röhrenradio, in das man einen Abend verwundert hineinlauscht. Nun fügt sich das dem Preußischen nachgesagte Gestrenge und Ordentliche, welches das Krongut in seiner geometrischen und hygienischen Aufgeräumtheit verkörpert, aber bestens zum Swing der 30er und 40er Jahre, den Sänger David Rose vor dem alten Mikrophon darbietet. Denn dieser frühe Swing, mit dem Frank Sinatras Karriere begann, und der von Bandleadern wie Harry James und Tommy Dorsey geprägt wurde, lebt von der Disziplin, der sich Harmonie, Euphorie und Lautstärke unterwerfen. Kurz vor der Entfesselung des Rock“n Roll, sozusagen, steht emphatische Keuschheit noch einmal in ihrer Blüte. Kaum mag man glauben, dass „I“ll never Smile Again“, eine gezügelte, melancholisch-romantische Betrauerung der Verflossenen, der erste Nummer Eins-Hit aller Zeiten war im Jahr 1940, als die Billborad-Charts zum ersten Mal veröffentlicht wurden. Hört man Hermlins Orchester und Rose wehmütigen, oft Verluste im Liebesbereich betrauernden Gesang, malt man sich unweigerlich eine bigotte, sexuell heuchlerische und sittengestrenge Zeit aus, in der man noch nach einem illegalen Kuss in Ohnmacht fallen durfte. Sinatra muss schon am Anfang seiner großartigen Karriere eine ungemeine Ausstrahlung besessen haben, Backfische, so heißt es, hätten seine Fußabtritte im Schnee in Kartons aufgelesen und huldigend im Kühlschrank verwahrt. David Rose, dieser kleine, zierliche Mann, eifert mit warmer Stimme und viel Gefühl dem Vorbild nach, tonales Echtheitsstreben in Perfektion auch hier, doch auf der Bühne wirkt er schüchtern, konzentriert und ein wenig zu salbungsvoll. War „Frankie Boy“ nicht smarter, weniger linkisch? Der satte Applaus im Krongut für das Swing Dance Orchestra steht dafür, dass Andrej Hermlin sein Ziel erreicht hat, nahezu perfekt den Sound von damals einzufangen. Seine Solisten, ob an Trompete, Saxophon oder Posaune, glänzen, ohne störend über das kompakte Harmoniegebäude hinauszuragen. Hermlin und das Krongut gehen den Weg, den auch Ritterspiele, Mittelaltergruppen und Country-Ensembles gehen. Sie versuchen, etwas Aufleben zu lassen, was unweigerlich verloren ist. Diese Art der „Authentizität“ ist in Wirklichkeit immer Illusion. Die Illusion von Hermlins Programm „Frank Sinatra - The Early Years“ ist beeindruckend. Und doch erscheint sie wie eine Flucht vor der eigenen Interpretation, ohne die Swing klingt wie aus einem alten Radiogerät.

Matthias Hassenpflug

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