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Kultur: „Beethoven repräsentiert den befreiten Menschen“

Wolfgang Hasleder und Marion Leleu haben sich mit „Quatuor Voltaire“ Großes vorgenommen: Sie spielen alle 16 Streichquartette des Meisters der Wiener Klassik

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Frau Leleu, Herr Hasleder, schon kurz nach der Gründung Ihres „Quatuor Voltaire“ haben Sie sich entschlossen, alle 16 Streichquartette Ludwig van Beethovens aufzuführen. Warum gleich zum Anfang eine solche Mammutaufgabe?

MARION LELEU: Weil schon das erste Zusammenspielen mit Franziska Hahn, Wolfgang Hasleder und Alexander Koderisch eine Offenbarung war. Auf dem Programm stand „Der Tod und das Mädchen“ von Franz Schubert. Dieses Streichquartett hatte ich vorher schon oft gespielt. Da merkt man sehr schnell, ob die anderen Musiker das jetzt einfach professionell abspielen, oder ob das Stück auch wirklich verstanden wird und darüber hinaus ein gemeinsames Verstehen möglich wird. Und bei unserer ersten Probe, bei einer bestimmten Stelle schaute ich nur kurz zu Wolfgang an der ersten Geige, und er war sofort da. Und auch mein Blick zu Alexander am Cello zeigte mir, der war sofort da. Da dachte ich: „Wow, wir kennen uns kaum, trotzdem sind wir bei diesem Stück auch innerlich zusammen.“

Von der Gründung eines eigenen Streichquartetts war da noch nicht die Rede?

MARION LELEU: Nein, und ich glaube, das war das Gute bei uns. Dass wir ein Quartett gründen wollen, davon war zuerst überhaupt nicht die Rede. Wir haben einfach erst einmal zusammen gespielt, in der Probe und dann auf der Bühne. Und da haben wir erkannt, dass es funktioniert und wir diesen Weg einfach weiter zusammen gehen wollten.

Aber gleich alle 16 Streichquartette von Beethoven?

WOLFGANG HASLEDER: Die Entscheidung für Beethoven stand ziemlich schnell fest. Die Gattung des Streichquartetts war nach nur knapp 50 Jahren seit ihrer Entstehung auf dem Zenit ihrer Entwicklung angelangt. Das hat ganz wesentlich mit der so innovativen wie synthetisierenden Kraft Beethovens zu tun. Nach so viel Musik des 17. und 18. Jahrhunderts, die wir uns unabhängig voneinander erschlossen hatten, erschien es uns unausweichlich, sich nun als historisches Streichquartett der größten Herausforderung – aber auch der lohnendsten Aufgabe –, also dem Korpus der Streichquartette Beethovens, zu widmen. Das heißt natürlich nicht, dass wir nicht Werke anderer Komponisten spielen. Die Wiener Klassiker, Schubert, aber auch Lokalmatadore, wie etwa der von Beethoven hochgeschätzte Prinz Louis Ferdinand oder Fanny und Felix Mendelssohn.

MARION LELEU: Wenn man sich intensiv mit Beethoven beschäftigt, entdeckt man in bestimmten Sätzen Ähnlichkeiten, kann auch eine Entwicklung erkennen. Auch die so kontrovers diskutierten Metronomzahlen Beethovens erschließen sich dann plötzlich in ihrer das Gesamtwerk überspannenden Systematik.

Sie spielen historisch informiert, also auf Darmsaiten. Eine besondere Herausforderung?

MARION LELEU: Ich kann nicht sagen, ob das für uns ein Umweg oder ob es erschwerend ist, wenn wir auf Barocksaiten spielen. Aber es ist eine ganz andere Welt, denn wir müssen diese Instrumente und die darauf befindlichen Saiten ganz anders anfassen. Und zu Beethovens Zeiten und weit darüber hinaus bis in das letzte Jahrhundert wurde ausschließlich auf Darmsaiten gespielt. Also hat das direkt auch mit seiner Musik zu tun. Durch dieses Anders-Spielen-Müssen gibt es eine Rückkopplung, wie man die Musik versteht. Das ging mir selbst als Musikerin so. Ich kann Beethoven ja auch auf modernen Instrumenten, also auf Stahlsaiten, spielen, dabei aber entsteht ein ganz anderer Eindruck als auf den Barocksaiten.

WOLFGANG HASLEDER: Dass die Saitenfrage immer schon Thema war, ist auch von Beethoven und Schuppanzigh überliefert, die anlässlich der Uraufführung des Streichquartetts cis-Moll Op. 131 mehrfach über die Notwendigkeit und das Bestellen neuer, besserer, reinerer Saiten konferierten. Es sind aber nicht nur die Saiten, auch die Verwendung der klassischen Bögen und die grundlegende Einrichtung der Streichinstrumente in der historisch überlieferten Art und Weise machen den Unterschied.

Spielen Sie die Quartette in den geplanten Konzerten chronologisch?

WOLFGANG HASLEDER: Nein, das durchmischen wir. Grob gesagt, liegt der Fokus im ersten Jahr auf dem Frühwerk, also dem Op.18, im zweiten Jahr werden es die mittleren Quartette, und in 2017 die späten Quartette sein. Jedoch interpolieren wir dramaturgisch begründet Werke verschiedener Schaffensphasen, um Entwicklungslinien, Gegensätze, Brüche, aber auch Kontinuitäten im Werk Beethovens zu zeigen. Bei unserem Eröffnungskonzert beginnen wir mit den ersten Streichquartetten in D-Dur Opus18/3 und in A-Dur Opus18/5 und dem zweiten „Rasumowsky-Quartett“ in e-Moll Opus59/2 aus der mittleren Phase. Bei unserem zweiten Konzert im Oktober spielen wir dann die Streichquartette in F-Dur Opus18/1 und in c-Moll Opus18/4 und stellen diesen Beethovens letztes Streichquartett in F-Dur Opus135 gegenüber. Im ersten Konzert entsteht so ein Spannungsbogen zwischen den konventionelleren ersten Quartetten und dem sehr persönlich gefärbten, leidenschaftlich-düsteren Rasumowsky-Quartett aus der mittleren Schaffensphase. Im zweiten Konzert übernimmt das frühe c-Moll Quartett die Rolle des Revolutionär-Aufrührerischen, während das Spätwerk apollinische Heiterkeit ausstrahlt.

MARION LELEU: Dass wir die Quartette nicht ganz chronologisch spielen, ist nicht nur für uns Musiker, sondern auch für das Publikum von Vorteil. Denn was Beethoven am Ende geschrieben hat, ist äußerst anspruchsvoll und fordernd. Da muss man Abwechslung schaffen.

Hört man Beethovens frühe Sinfonien, sind da immer auch deutliche Bezüge zu Haydn und Mozart zu erkennen. Wie ist das bei seinen Streichquartetten?

WOLFGANG HASLEDER: Da können wir mittlerweile sagen, dass hier ein gewisser Wettbewerb stattgefunden hat, denn Haydn und Mozart hatten im Genre Streichquartett kurz vor Beethovens Ankunft in Wien schon Maßstäbe gesetzt. Und in den sechs Streichquartetten Opus 18 setzt sich Beethoven ganz deutlich mit Haydn und Mozart auseinander. Aber er kopiert nicht. Er nimmt bestimmte Elemente, bestimmte Traditionen, um zu zeigen, dass er es mindestens genauso gut, wenn nicht sogar besser kann. So ist schon lange bekannt, dass sein Streichquartett Nr. 5 in A-Dur Opus 18 im Grunde bis ins Detail Mozarts Streichquartett in A-Dur, KV 464, nachempfunden ist, bis hin zu den Taktzahlen. Aber es klingt natürlich überhaupt nicht nach Mozart.

MARION LELEU: In seinen frühen Quartetten orientiert sich Beethoven auch in dem Sinne an Haydn und Mozart, dass die Stimmenverteilung noch ganz traditionell ist. Der Bass spielt den Bass, die Mittelstimmen die Mittelstimmen und die erste Geige singt darüber. Aber in seinen mittleren Quartetten verteilen sich die Rollen, muss hier plötzlich die Bratsche auch den Bass spielen, weil das Cello unabhängig wird. Dann muss auch die erste Geige begleiten, während die zweite nicht mehr die Mittelstimme spielt, sondern die Melodie. Durch diese ständige Rollenverteilung wird das Spiel zur Kommunikation, zur Unterhaltung.

Die Bestätigung des mittlerweile unvermeidlichen Zitats von Goethe in Sachen Streichquartett: „Man hört vier vernünftige Leute sich untereinander unterhalten, glaubt ihren Discursen etwas abzugewinnen und die Eigentümlichkeiten der Instrumente kennenzulernen ...“?

MARION LELEU: Ja, auf jeden Fall.

WOLFGANG HASLEDER: Besser trifft es vielleicht ein Zitat Igor Strawinskys: „Das Streichquartett war der klarste Träger musikalischer Ideen, der je geschaffen wurde, und außerdem der kantabelste, also menschlichste, im Bereich der instrumentalen Mittel; besser gesagt: Wenn es nicht von Natur aus und notwendig so war, hat Beethoven es dazu gemacht.“

Was unterscheidet Beethoven vor allem von Haydn und Mozart?

MARION LELEU: Bei Beethoven haben wir oft etwas Karges. Auf der anderen Seite aber auch viel Melodie und eine unheimliche Gesanglichkeit. Aber dieses Karge, das hatte beispielsweise Mozart nie. Der kann dramatisch oder schmerzvoll sein und sehr in die Tiefe gehen, bleibt aber immer opulent. Beethoven dagegen reichten als Motiv hingegen manchmal drei oder vier Töne, die dann so oft variiert, neu angeordnet und zerteilt werden, bis sich ein ungeheurer musikalischer Horizont eröffnet.

WOLFGANG HASLEDER: Beethoven offenbart sich in seiner Musik sehr stark. Er subjektiviert nicht nur die Mittel und den Ausdruck, sondern auch die musikalische Form. Und schon mit seinen ersten Streichquartetten macht er deutlich, dass er sich nicht an überkommene Regeln halten wird. Er hat diese Regeln zwar verstanden und gründlich gelernt, aber er versteht sich als Mensch, der sich selbstständig und emanzipiert seinen eigenen Maßstäben folgend ausdrückt.

MARION LELEU: Da sind wir beim Humanismus.

WOLFGANG HASLEDER: Ja, er akzeptiert keine Kompromisse, weil sie für ihn keinen Sinn machen.

Und da sind wir auch bei Immanuel Kant.

Wolfgang Hasleder: Wenn Sie so möchten, repräsentiert Beethoven den von seiner Unmündigkeit befreiten Menschen, der sich sehr wohl seines Verstandes ohne der Leitung eines anderen zu bedienen vermag. So beginnt ja Kants Essay „Was ist Aufklärung“.

MARION LELEU: Nur hat Kant seine Gedanken in Worte gefasst und niedergeschrieben. Die können wir lesen und verstehen. Bei Beethoven ist das anders, er spricht durch die Musik. Und Musik erzeugt in erster Linie Gefühlsregungen.

WOLFGANG HASLEDER: Im Vergleich zu Schriftstellern können wir in der Musik natürlich nie ganz ausdeuten, was der Komponist gemeint hat. Aber wir wissen, dass Haydn, Mozart, Beethoven und die anderen trotz äußerer Widrigkeiten deshalb Komponisten geworden sind, weil es ihnen letztlich um die sinnliche Erfahrung von Musik ging. Und die mit der Musik von Beethoven immer wieder neu zu erleben, das ist eine sehr schöne Auseinandersetzung, sowohl für die Musiker als auch für das Publikum.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Das erste Konzert in Potsdam zu den beethovenschen Streichquartetten findet am morgigen Sonntag um 17 Uhr in der Alten Neuendorfer Kirche, Neuendorfer Anger 1, statt. Der Eintritt ist frei

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