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Kultur: Beethoven und Amerika

Kammerakademie Potsdam brachte alle vier Leonoren-Ouvertüren zu Gehör

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So vorsichtig, dass es fast nicht auffällt, erweitert die Kammerakademie Potsdam ihr Repertoire. Aparte Kontraste zwischen europäischer Klassik und amerikanischer Moderne des frühen 20. Jahrhunderts erklangen beim ersten Sinfoniekonzert. Ludwig van Beethovens triumphale Leonoren-Ouvertüre in allen vier Versionen alternierte mit kürzeren, nachdenklichen Werken von Charles Ives und Carl Ruggles. Das je nachdem beträchtlich aufgestockte oder reduzierte Orchester unter der Leitung von Michael Sanderling gab sein Bestes für die Übersetzung der so überaus verschiedenartigen Kompositionen in die aktuelle Gegenwart.

Für die Aufführung aller vier Leonoren-Fidelio-Ouvertüren hatte man – quasi legitimierend – Felix Mendelssohn-Bartholdy angeführt, der das Gleiche 1840 im Leipziger Gewandhaus getan hatte. Ob das als Grund ausreicht, ist natürlich eine legitime Frage. Doch einen aufschlussreichen Blick in die Werkstatt des Komponisten konnte man allemal werfen. Dass Beethoven die erste Leonoren-Ouvertüre sofort verworfen hat, war leicht zu verstehen, zumindest, wenn man die berühmteren Geschwister kennt. Von einem leisen Unisono-Beginn führt der Erzählfaden über zarte Flöte- und Oboesoli und verschiedene Nebenwege zu schmetternden Schlussakkorden. Aber es fehlen der Schwung und der Prunk, die bekannten Signale und Melodien.

Anders in Leonore Nr. 2, bei Paukenschlag und Tutti-Fanfare zu Beginn, die sogar wiederholt werden, weiß man gleich, dass nun das Schicksal vor der Tür steht. Noch singen Flöte und Oboe vor einem ruhigen Streichergrund, bevor sie in markanten Wirbeln des Orchesters versinken, die gebändigt werden durch lang gehaltene Generalpausen. Mit dunklen Stimmen murmeln die Kontrabässe ihren Part zu der düster-heroischen Geschichte von Freiheit und Eheliebe, zunehmend nervöser gebärden sich die Streicher und Bläser bis das erlösende Trompetensignal aus dem Off kommt und allgemeiner Jubel ausbricht. Bravos und Applaus für eine sehr plastische, markant gegliederte Wiedergabe. Was bei Leonore 2 noch zu dick aufgetragen war, verfeinerte der Meister in Leonore Nr. 3 erheblich. Unter Michael Sanderlings Leitung vollführt das stark besetzte Orchester subtile Volten und Synkopen, sprüht Funken, erblüht in delikaten Crescendi. Besonders viel Beifall verdienen auch hier Bettina Lange, Flöte, und Jan Boettcher, Oboe. Die eigentliche Ouvertüre von Fidelio, die anders als ihre C-Dur-Geschwister in E-Dur steht, besticht mit der brillant-prägnanten Verdichtung ihrer Stimmen, ein richtiger Stimmungsanheizer, der Lust auf mehr machte.

Eine Überraschung hat die Kammerakademie für jedes ihrer Sinfoniekonzerte in dieser Saison angekündigt. Hier nun die erste Auflösung: Mit „The Unanswered Question“ von Charles Ives erklang ein Klassiker der amerikanischen Musik. So neu ist dieses Stück allerdings auch nicht mehr und man wundert sich nach Prokofiew, Strawinsky, Schönberg und anderen häufig gespielten Komponisten, dass von Charles Ives und Carl Ruggles, dem zweiten Amerikaner des Abends so wenig zu hören ist. Vielleicht klingt ein Stück wie „Washington?s Birthday“ schlicht zu amerikanisch für hiesige Ohren. Dass nach einem mystisch-verhangenen Beginn plötzlich wilde Polka-, Square-Dance und andere Rhythmen im wahrsten Sinne durcheinander wirbeln und anschließend in süßer Mattigkeit säuselnd erschlaffen wirkt schon ungewöhnlich. Die „unbeantwortete Frage“ frappiert mit geradlinigem Aufbau und subtiler, simultaner Struktur – Raummusik anno 1906, in einer etwas braven, wenig kontrastreichen Wiedergabe. Wie schon bei Beethoven klingt hier eine einzelne Trompete (Florian Dörpholz) aus dem Off, allerdings nicht triumphierend, sondern schlicht und fragend.

Die kammerakademischen Streicher überzeugten mit ihrer stringenten Interpretation des minikurzen, intensiven und ziemlich sperrigen Werks „Portals“ von Carl Ruggles. Durchaus interessant und hörenswert, was diese Amerikaner musikalisch zu sagen haben. Viel Applaus.

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