zum Hauptinhalt

Kultur: Befreiend

Niklas Frank las im „Voltaire“ aus „Der Vater“

Stand:

„Ehre Vater und Mutter!“ heißt das fünfte christliche Gebot. Doch wie kann man das, wenn der eigene Vater, berüchtigt als „Schlächter von Polen“, bei den Nürnberger Prozessen zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Niklas Frank, jüngster Sohn von Hans Frank, einem der ältesten Kämpfer in Hitlers Gefolgschaft und seit 1939 Generalgouverneur von Polen, hat sich mit den Verbrechen und der Schuld seiner Eltern sein Leben lang herumgeschlagen. 1987 veröffentlichte der ehemalige stern-Reporter seine aufsehenerregende Auseinandersetzung mit dem eigenen Vater und brach mit dieser provokanten Abrechnung in den Augen vieler Rezipienten das Tabu der Vaterliebe.

Am Dienstag las der renommierte Autor und Journalist auf Einladung des Fördervereins der Voltaire-Gesamtschule im Voltaire Hotel aus diesem und aus seinem 2005 erschienenen Buch „Meine deutsche Mutter“. Das war der Auftakt zu einer Reihe von Lesungen im Juni in Potsdam, mit denen Niklas Frank versucht, nicht nur den jüngeren Nachgeborenen, die in nicht wenigen deutschen Familien verdrängte und persönlich unaufgearbeitete Vergangenheit nahe zu bringen. Schonungslos. Denn der heute 67-Jährige war sieben Jahre alt, als ihn sein Vater kurz vor seiner Hinrichtung noch immer hemmungslos belog. So gab es für den Sohn keinen wirklichen Abschied, keine väterliche Regel für’s Leben und, weil, beide Eltern bis zu ihrem Tode nichts begriffen haben, kein „Erbe“ für ihre leiblichen Nachkommen. Das hat diese ihr Leben lang geprägt und auch zu spannungsreichen Konstellationen unter den fünf Geschwistern geführt.

Niklas Frank begab sich bereits früh auf persönliche Spurensuche und die erdrückende Faktenlage der ungeheuren deutschen Verbrechen, an denen seine Eltern in führender Position mittel- und unmittelbar beteiligt waren, brachte ihn schnell auf die Seite der Opfer. Als Kind jedoch war er selbst „Nutznießer“ der Machtfülle seiner Eltern. So lebte er beispielsweise mit großem Vergnügen auf der königlichen Wawelburg in Krakau und erfuhr später, dass polnische Altersgenossen zwei Kilometer weiter bestialisch gequält und ermordet wurden. Eine Zuhörerin, die auch von ihren eigenen Großvätern berichtete, konnte die Wut und den Schmerz des Autors besonders gut nachvollziehen. Voller Abscheu und Ekel berichtete der Sohn im Buch über seine Mutter, die er, wie er auch im sich anschließenden Gespräch sagte, „verzweifelt geliebt und um ihr sattes Leben beneidet hat“, von deren kaum zu überbietender Raffgier, insbesondere was polnisches und speziell jüdisches Eigentum anging, von ihrer menschenverachtenden Ignoranz und außerordentlichen politischen Dummheit.

Frank gelingt in beiden Büchern eine schockierende Innensicht einer deutschen Familie, die, obwohl den christlichen Werten und kulturellen Errungenschaften ihres Landes eng verbunden, ohne jedes Tabu gegenüber anderen Völkern und Kulturen so total „ausgerastet“ ist. Zwei jüngeren Schülerinnen im mehr als zwei Stunden interessiert lauschenden Publikum, die nach der heutigen Beziehung zu seinen Eltern fragten, entgegnete der Autor nicht ohne Bewegung: „Ich bin sehr mit meinen Eltern verbunden, aber ich richte sie täglich hin“, was grotesk überhöht in den Anfangskapiteln beider Bücher eindrücklich nachzulesen ist.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })