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Kultur: Bei ... überm Sofa

Im Alten Rathaus zeigen Potsdamer, welche Kunst bei ihnen zu Hause hängt

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Im Alten Rathaus zeigen Potsdamer, welche Kunst bei ihnen zu Hause hängt Von Matthias Hassenpflug Was wirklich in den Köpfen steckt, sehen wir nicht. Wie gerne würde man erfahren, was die Leute wirklich lesen, lieben oder wählen. Was Potsdamer für Kunst halten, das kann sehr aufschlussreich bis zum 3. Juli im Alten Rathaus angeschaut werden. „Potsdamer – zeigt her eure Kunst" nennt sich die Aktion von kunsttick.com, bei der jeder Bürger der Stadt ein Bild oder eine Skulptur abgeben durfte. Plötzlich wird Kunst basisdemokratisch definiert, und der Betrachter lernt, dass Kunst bereits jenseits eines Kunstmarktes anfängt, nämlich da, wo jemand einen Pinsel in die Hand nimmt und mit dem Ergebnis so zufrieden ist, dass er es zum Schmuck des eigenen Heims erkürt. Man erkennt auch, dass Eitelkeit manchmal stärker sein kann als die Angst verspottet zu werden. Denn mehr als die Hälfte der ausgestellten Bilder stammt von Hobbykünstlern, die die Gelegenheit nutzten, endlich einmal in eine richtige Kunstausstellung zu kommen. Dieser milde zu bewertenden Exhibitionismus zu zeigen, was man hat, trifft hier nun auf den besonderen Voyeurismus, der jedem Besucher innewohnt. Da mit dem perfiden Charme des Trashes bewusst auf einen auswählenden Kurator verzichtet wurde, ist die Bandbreite der Stile und Techniken, Motive und Fertigkeiten der Werke sehr breit. Selten wird die Amateurklasse sichtbar verlassen. Der Maler Adrian Blaschke gibt mit seiner Motivcollage „Potsdam auf einen Blick" das Thema der gesamten Schau vor. Eine gelbe Sonne sendet recht scheußliche Strahlen über die Zusammenstellung von Wahrzeichen der Stadt, die mit schwerem Pinsel nach Wirklichkeitstreue suchen. Potsdamer Ansichten scheinen sowieso sehr beliebt zu sein. Sie füllen beinahe einen der beiden Räume. Elke Kretschmers "Dächer von Potsdam" lösen sich in den erdfarbenen geometrischen Formen auf. Die Künstlerin, die das Bild auch "zur Verfügung gestellt" hat - wie es heißt - scheint eher zur Schwermut zu neigen. Wieland Rödel hat in impressionistischer Manier die Freundschaftsinsel ganz gut getroffen. Der interessierte Stadtdetektiv findet auch Material anderer Art. Wenn plötzlich ein echter Sprotte zwischen Hobbykunst hängt, wenn auch nur ein kleiner, ist die Neugier geweckt. Eine gewisse "Frau G. Fischer" hat die Postkarten große Tuschzeichnung zur Verfügung gestellt, und ist sogar, wie eine Minderheit, dem Wunsch der Veranstalter nachgekommen und hat das Bild in seiner häuslichen Umgebung fotografiert. Leider zeigt das Foto nur, dass es mit anderen Werken an einer Galeriewand hängt, nicht, ob es sich bei der stolzen Sammlerin tatsächlich um die Beigeordnete gleichen Namens handelt. Indizien lassen das vermuten, denn schräg gegenüber hängt das Bild „Der Auftrieb der Seele“. Der Name einer ehemaligen Kulturamtsmitarbeiterin, die es während der „Stipendiaten-Affäre“ in die FAZ geschafft hat. Der abstrakte Kopf, dessen Gehirn in zwei Hälften gespalten ist, sieht trostlos und leidend aus, der Titel sagt, dass es wieder aufwärts geht. Schließlich könnte auch neben den Offiziellen, die immer bei solchen Aktionen angefragt werden, auch „Familie P. aus Babelsberg“ – inkognito macht verdächtig - für den P. stehen, der früher einmal unser Oberbürgermeister war und der in B. wohnt. Das Landschaftsbild von Karl Hennemann „Märztag“ sticht wie der Sprotte in der Qualität deutlich heraus, es hat Format, auch wenn die kahle Allee, darüber fahler Himmel und Restschnee, nicht unbedingt Hoffnung ausdrücken. Gute Bekannte sind der kitschige „spielende Zigeuner“, der die Melodie-Kneipe schmückte und der große schwarz-weiße Dandy aus dem La Leander. Optische Grausamkeiten, wie die Airbrusharbeit von Burkhard Scheube, die ein zärtliches Paar abbildet, oder die Mohn- und Sonnenblumen, schmerzen durch die ihnen anscheinend beigemessene Wertschätzung der Besitzer plötzlich nicht mehr ganz so. Echte Fundstücke sind selten, aber vorhanden. Ein Mattheuer („Dachfenster“), der das Fenster der Besitzerin kommentiert, ein witziges Filzbildchen „Üdülle“ von Puppyrowskij, das Martin gebracht hat und das den Unernst des Ausstellungskonzepts verstanden hat, oder das Ölgemälde „Auf dem Darß“ von Robert Freund. Ein ungewöhnlicher Bildausschnitt, zwei Frauen, ermattet vom hellen Sommerlicht am Strand, eine Hand greift an eine Schulter, ein Augenblick, in dem Kunst erwacht. Die Schau zeigt, dass auch in der Kunst Potsdam eine Stadt ist, in der Selbstüberschätzung und wirkliches Talent gute Nachbarn sind.

Matthias Hassenpflug

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