Kultur: Beim Shimmy gerieten die Wasserwellen in Wallung
Federboa, Frack und Spitze: Für den Filmball im Lindenpark ließ sich das Publikum vom Zeitgeist packen
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Der Titel „Babelsberger Filmball“ war vielleicht etwas zu hoch gegriffen. Eher war es eine gelungene Party im Stil der 20er und 30er Jahre, die am Freitagabend den Lindenpark in eine neue Farbe tauchte.
Zu Anfang wollte sich das ausgelassen-kecke, elegant-verruchte, oft auch exzessive Lebensgefühl der wilden Zwanziger noch nicht so recht einstellen, was wohl auch daran lag, dass sich der Saal nur langsam füllte. Veranstalter Mike Gessner, in einem eleganten weißen Cordanzug, blieb jedoch entspannt. „Wenn wir ankündigen, dass eine Veranstaltung um 21 Uhr beginnt, wissen wir schon, dass es frühestens gegen 23 Uhr richtig los geht.“ Bevor die Party in Schwung kam, hatten die schon anwesenden Gäste, von denen die meisten selbst in den Zwanzigern waren, zumindest genügend Zeit, um sich auf einer Leinwand alte Schwarz-Weiß Aufnahmen von den Babelsberger UFA-Filmstudios anzuschauen.
Zu vorgerückter Stunde bekam die Party dann endlich den nötigen Swing. Das Publikum wurde vom „Thursday Night Soul Club“ auf die Tanzfläche gelockt: einer Band, die sich an diesem Abend musikalisch zum ersten Mal an den Zwanzigern versuchte und beim Publikum gut ankam. Die glutäugige, forsche Sängerin hatte selbstironisch ein weißes, weites Spitzenkleid für ihren Auftritt ausgewählt. Bekannte Schlager und Chansons dieser Zeit, wie „Ein kleines Liedchen geht von Mund zu Mund“ oder „Der Wind hat mir ein Lied erzählt“ von Zarah Leander trug sie mit herrlicher Überspanntheit vor. Das temperamentvolle Spiel der Musiker erinnerte an Zigeuner-Swing im Stil von Django Reinhardt. Sympathisch und lässig wirkten der Kontrabassist und der Gitarrist in ihren Al-Capone-Anzügen. Die Violinistin trug einen schwarzen Hosenanzug, der in den Zwanziger Jahren als revolutionär galt, weil Frauen mit ihm das Tabu brachen, Männerkleidung zu tragen und damit eine dominante Seite ihrer Weiblichkeit zur Schau stellten.
Auch das Publikum hatte sich im Vorfeld augenscheinlich intensiv mit der Mode der 20er und 30er Jahre beschäftigt. Die jungen Damen trugen aufwändig gefönte Wasserwellen und schillernde Stirnbänder, außerdem blutroten Lippenstift. Zum Rhythmus von Charleston und Shimmy wirbelten Rock- und Kleidersäume aller Längen sowie Federboas umher. Dazu klimperten lange, geknotete Perlenketten. Die jungen Herren, meist im Anzug oder Frack, trugen Zylinder und weiße, kurze Handschuhe. Und natürlich rauchten sie „Spitze“.
Einen Faible für die Zwanziger Jahre und vor allem für die Musik der Comedian Harmonists zeigten auch die fünf jungen Sänger der A capella-Gruppe Hohes C. Unterhaltsam trugen sie die Klassiker „Kleiner grüner Kaktus“ sowie „Wochenend und Sonnenschein“ vor. Auf einer dritten kleinen Bühne spielte das Franz-Lasch-Ensemble, das mit seinem Repertoire in den 20er Jahren zu Hause ist. Mit sehr tiefer und rauchiger Stimme interpretierte die Sängerin den Titel „Nur nicht aus Liebe weinen“ von Zarah Leander – fast so schön wie damals die Diva.
Die Königin unter den Diven dieser Zeit war und bleibt aber wohl „Die Dietrich“, die 1930 in den Babelsberger Filmstudios den „Blauen Engel“ gedreht hatte. Und so sollte der Auftritt von Marlene ein Höhepunkt des Abends werden. So richtig glückte das nicht. Das nur knapp 1,60 Meter kleine Mädchen im schwarzen Hosenanzug war zwar hübsch, hatte aber, bis auf die blonde Frisur, keinerlei Ähnlichkeit mit der mondänen Schauspielerin.
Echter Höhepunkt war hingegen die Modenschau im Stil der 20er vom Modelabel Noa Noa. In einer tänzerischen Choreografie zeigten junge Mädchen wunderschöne Stoff- und Farbvariationen.
Insgesamt kam das Motto des Abends beim Publikum sehr gut an. Nur mit den Tanzkarten, die am Eingang verteilt worden waren, kamen die wenigsten zurecht. So hätten die Herren sich bei den Damen ihrer Wahl für die einzelnen Tänze vormerken lassen können. Da sie jedoch bei Shimmy, Swing und Charleston meist nicht parkettsicher waren, ließen sie es bleiben. Die Damen nahmen es jedoch nicht schwer und schwangen das Tanzbein stattdessen mit einer Freundin.
Juliane Schoenherr
Juliane Schoenherr
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