zum Hauptinhalt

Kultur: Benefizabend: „Theaterschiff muss sein!“

Die erste Reihe muss leiden. Zuerst entfesselt Barbara Kuster auf der kleinen Bühne eine Stimme, die den Herrschaften ganz vorn im Publikum fast die Frisur zerrüttet.

Stand:

Die erste Reihe muss leiden. Zuerst entfesselt Barbara Kuster auf der kleinen Bühne eine Stimme, die den Herrschaften ganz vorn im Publikum fast die Frisur zerrüttet. Man möchte strammstehen vor dieser Frau und ihrer Darbietung, wenn sie das Umgraben von Gemüsebeeten als ultimative Entspannungsübung postuliert oder vom familieninternen Müllermilchkrieg mit dem SPD-abgeordneten Gatten erzählt. „Ich werd'' zum Rammstein“ röhrt sie schließlich als Racheengel mit ausgebreiteten Armen in einem Lied über die Querelen der Parkplatzsuche.

Unter dem Motto „Theaterschiff muss sein!“ wurde am Sonntag abend in der schwimmenden Spielstätte eine Art Brühwürfel hiesiger Kabarettkunst geboten. Nach monatelanger Torschlusspanik war der Erhalt des Theaterschiffs zwar zugesichert, aber Geld fehlte noch immer. Die Gaststars des Theaterschiffs, Barbara Kuster, die Meissners, Michael Ranz & Edgar May organisierten die Benefizveranstaltung – eine Welturaufführung.

Zum ersten und vermutlich einzigen Mal standen sie alle zusammen auf einer Bühne, sangeskräftig unterstützt von der Stadtspieltruppe, die paradoxerweise gleichzeitig Gründerin und Sorgenkind des Theaterschiffs ist. Denn die Subventionen wurden den Amateurschauspielern gekürzt, was letztlich aber zu Lasten des Schiffs geht. Die Karten waren schon Wochen vorher komplett ausverkauft. „Vielen Interressierten musste abgesagt werden“, sagt Winfried Mattukat, der künstlerische Leiter.

120 Minuten lang wird gesungen, getanzt und gelästert. Tabus sind abgeschafft. Und wer im selben Boot sitzt, muss mitmachen. So hält Andrea Meissner ihre ausgestreckte Hand über den hochroten Kopf eines unbekannten Zuschauers. Sie nennt ihn Horst und teilt dem amüsierten Publikum mit süffisantem Grinsen Horsts angeblich frivole Gedanken mit. Ihre Namensvetterin Tatjana fordert kurze Zeit später als leicht verklemmte Sexbombe zu der Musik von Tom „Tiger“ Jones in breitestem sächsisch von einem Herrn weiter links: „Mach mir den Tiger!“ Mit mütterlichem Charme und etlichen Kostümwechseln arbeiten die ungleichen Damen die großen zwischenmenschlichen Missverständnisse ab.

Die Spannbreite reicht vom „nymphomanischen Exibitionismus“ bis zu Potenzproblemen, einem Thema, das von den nachfolgenden Herren Ranz & May dankbar aufgegriffen wird. Sie nennen das Problem mit der Männlichkeit vornehm „erektile Dysfunktion“ und geben gleich Tipps zu seiner Behebung: Krafttraining, Medikation oder Stimulation. „Pornos gucken“, johlt der Pianist fröhlich und sogleich erscheinen zum wiederholten Male fünf Spieler der Stadtspieltruppe aus dem Nichts und intonieren das Lied „Eine kleine Nymphomanin“ bis sie von den Kabarettisten verjagt werden. Mit intelligent zielsicherem Witz und aufregendem Hüftschwung wendet man sich der holden Weiblichkeit zu, nachdem die angeblich stärkere Hälfte der Menschheit ihr Fett an diesem Abend mehr als abbekommen hat. Bei dem Thema „Frauen und Autos“ überlegt die Autorin dieses Textes kurz, ob sie mit ihrem Saftglas werfen soll, zumal die Künstler den Protest wörtlich fordern. Doch schließlich ginge solch aggressive Handlung vor allem zu Lasten des Theaterschiffs. Ein Skandal bleibt daher aus. Die Stadtspieltruppe darf nun endlich auf die Bühne und gibt die schlichte Interpretation der Finanzierungssorge nach Bertolt Brecht: „Erst kommt das Fressen. Dann kommt die Moral“. Während die Meissners einen Dankeschoral zu den Klängen der Gruppe Abba anstimmen und ihre Beine in die erhitzte Theaterluft werfen, verteilen ihre männlichen Kollegen Rosen an die weiblichen Zuschauer. Die fünf Künstler werden zu Ehrenmitgliedern der Stadtspieltruppe ernannt und erhalten zum Dank je eine Rettungsweste. Endlich kann sich die erste Reihe entspannt zurücklehnen. Die Zuschauer dürfen an diesem Abend mit gutem Gewissen ins Bett gehen. Mit ihren Eintrittsgeldern haben sie einen Teil des Finanzlochs in den Planken des Theaterschiffs gestopft. Ausserdem waren sie Zeugen eines herzerfrischenden Bühnenpotpourris.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })