Kultur: Berührend und eindringlich
Stille Andacht und aufbrandender Jubel beim Abschlusskonzert des „Vocalise“-Festivals
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Am israelitischen König Salomo, hebräisch: Schelomo, rühmt die Bibel unter anderem seine weisen Urteile und philosophischen Ansichten: „Was hat der Mensch für Gewinn von all seiner Mühe, die er hat unter der Sonne?“ Im Falle von Ernest Blochs tönender Personenbeschreibung „Schelomo“, einer hebräischen Rhapsodie für Violoncello und Orchester, auf jeden Fall eine gehörige Portion von Seelenerbauung. Dafür sorgt von Anfang an das Soloinstrument mit instrumentalem Singen in hoher Lage – einem klagenden Lied, das über die Endlichkeit des Daseins nachsinnt. Das vom Geist und Klang traditioneller jüdischer Musik inspirierte Opus steht nicht ohne Grund am Beginn des „Vocalise“-Abschlusskonzertes am Sonntag in der Erlöserkirche, denn es stimmt auf die nachfolgende, ebenfalls vom Schweizer Ernest Bloch vertonte jüdische Gottesdienstliturgie „Avodath Hakodesh“ ein. Beiden Werken ist das Neue Kammerorchester Potsdam unter Leitung von Ud Joffe ein gefühlsintensiver, dem hebräischen Idiom ausgezeichnet nachspürender Sachwalter.
Doch das musikalische „Schelomo“-Geschehen ist auch von martialischen Schlachtenklängen, einem Hauch lüsternen Hoflebens und ermattenden Passagen erfüllt. Als introvertierter Rhetoriker durchschreitet der israelische Cellist Zvi Plesser klaren und kraftvollen, geradezu süffigen, verführerischen und ausdrucksintensiven Tons mühelos die Spannbreite der Stimmungen. Er gibt sich sentimental, ohne je kitschig zu wirken. Er trumpft als saitenvibrierender Erzähler auf, wenn er Salomos Lebenslust und Sinnesfreude reflektiert. Im Zusammenspiel mit dem Orchester entstehen schillernde und unaufhörlich fließende Klänge, die auch von Ergriffenheit, Daseinsfreude, hymnischem Selbstbewusstsein künden.
In seinem leidenschaftlichen Bekenntnis zu einer spezifisch jüdischen Musikkultur bedient sich Bloch keinesfalls eines oberflächlichen Folklorismus, sondern entdeckt im Jahrtausende alten jüdischen Tempelgesang die Wurzeln für sein Schaffen. Die Textvorlagen für „Avodath Hakodesh“ findet er in der Gebetssammlung „Siddur“, die für den Alltag, Sabbat und hohe Feiertage das Passende bereithält. Dabei entsprechen die fünf „Avodath Hakodesh“-Teile den fünf Abschnitten eines Sabbat-Gottesdienstes. Wie es sich gehört, wird sie traditionell vom Wechselgesang des Kantors mit der Gemeinde geprägt. Auf dieser Überlieferung fußt Blochs Vertonung, die sich mit einer kurzen „Meditation“ zwecks spiritueller Kraftsammlung einleitet. Dann beginnt der (natürlich hebräisch angestimmte) Kantorengesang mit der Feststellung: „Wie lieblich sind deine Zelte, Jakob, deine Wohnungen, Israel!“ Zur Erinnerung: In verknappter Form hat sie auch Johannes Brahms in seinem „Ein deutsches Requiem“ verwendet.
Mit kernigem, kraftvoll aufschwingendem Bassbariton erweist sich Colin Schachat als profunder Vorsänger. Ihm antwortet sehr geschmeidig und weich der Chor in Gestalt der Potsdamer Kantorei. Überaus anspruchsvoll sind dabei die Aufgaben der Sängerinnen und Sänger. Die zahllosen bestätigenden, kommentierenden oder reflektierenden Antworten auf kantorale Feststellungen sowie Ge- und Verbotsforderungen verlangen ihnen ein Höchstmaß an sängerischem Können und gestalterischer Intensität ab. Faszinierend, wie sie ohne jegliche Ermüdungserscheinungen diese stimmkraftfordernden Aufgaben bewältigen. Nicht weniger lobzupreisen ist ihr Vermögen, über die von Joffe orchestral rigoros entfesselten Fortissimo-Ausbrüche triumphieren zu können. Im starken Kontrast dazu steht ihre stille Hingabe an die Ehrung Verstorbener (Kaddish) oder das bewegende Friedenslied „Etz Chayim“. Eine mehr als beeindruckende Chorleistung!
Prononciert und klar, mit geradezu archaisch wirkender Eindringlichkeit spricht Klaus Büstrin den vom Orchester untermalten Predigttext. Gemäß Komponistenwunsch ist er bei Aufführungen in der jeweiligen Landessprache vorzutragen. Man hätte ihn gern im Programmheft zum Mit- und Nachlesen abgedruckt gesehen. Nach abschließendem musikalischen „Segen“ löst sich der Zuhörer innere Anspannung erst nach einer Weile in einem Sturm der Begeisterung auf. Wie so oft in den zurückliegenden „Vocalise“-Konzerten. Sie beschäftigten sich mit dem Thema der „Vergänglichkeit und Ewigkeit“, boten mit den Totenmessen von Verdi und Brahms seelentröstliche Meilensteine bei Leidbewältigung und stiller Demut. Und auch die Lebenserkenntnis Salomo, dass alles seine Zeit habe, fand sich darunter. Hochkarätig besetzt, das gesamte Angebot. Und erneut war stilistische Vielfalt angesagt, wozu auch die von Ud Joffe konsequent betriebene Bekanntschaft mit jüdischen Klängen und Gesängen gehört. Man kann ihm dafür nicht genug danken.
Peter Buske
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